Frisch aus dem Namenslabor
Letzte Woche in der Frankfurter U-Bahn. Zwei Mädels mit schicken Umhängetaschen aus Lastwagenplane. "Degussa" steht drauf, offenbar ihr Arbeitgeber. "Kannst dann auch wegschmeißen", sagt die eine, etwas wehmütig. "Ne,
schenk ich meiner Mutter", sagt die andere, "die kann sich den neuen Namen eh nicht merken. Elektronik? Erotik?"
Evonik heißt der korrekte neue Kunstname, in dem die Degussa aufgegangen ist. Evonik, eines dieser vielen neuen Retortenkinder aus dem Labor der Namen-Docs. Arvato, Avensis, Alando, Adecco - weiß doch eh keiner, wofür das
steht.
Bei Evonik wusste übrigens noch nicht mal der Konzernchef Werner Müller was das genau bedeuten sollte. "Das E steht nicht für Elektrizität und das K nicht für Kunststoff", soll er auf der Pressekonferenz bei der
Namenspräsentation gerätselt haben.
Aber man habe ihm gesagt, Evonik klingt nah Stärke. Und außerdem - das ist in diesen Zeiten die Hauptsache - gibt es den Namen noch nicht, die Internetadresse ist noch frei, und man kann den Namen überall auf der Welt
aussprechen. Bei so viel kalter Technik ist es fast schon beruhigend, dass durch eine Computerpanne die neue Internetadresse am Tag der großartig inszenierten Namensenthüllung nicht erreichbar war.
Huch, da war tatsächlich noch ein Mensch am Werk, sieh an. Dafür zahlt der Konzern zehn Millionen Euro, um "Evonik" bei den Bürgern bekannt zu machen - nachdem die Namensfindung bereits zehn Millionen gekostet hat. Man
darf einfach gar nicht darüber denken, was man mit dem Geld hätte machen können. Betriebskindergärten bauen, Weihnachtsgeld zahlen, Lehrstellen schaffen!
Bei Daimler lief zwar die Technik perfekt. Als die Mitarbeiter am Morgen nach der Hauptversammlung nach Untertürkheim kamen, war das "Chrysler" am Gebäude bereits abgeschraubt.
Und in ihrem Mail-Fach fanden sie eine dreiseitige Anleitung, wie man die Signatur "daimlerchrysler.com" in "daimler.com" ändert. So schnell das halt geht im Cybersprache. Bloß dass die Seele auch noch hinterherkommen muss,
diese alte Indianer-Weißheit scheinen Unternehmensberater nicht zu beachten.
Das mit der Seele soll hier trotz Kitschverdachts gesagt werden, denn es war durchaus anrührend, wie Heidemarie Hirsch, die Urgroßnichte von Carl Benz, auf der Hauptversammlung forderte: "Geben sie dem Konzern seine Seele
zurück."
Aber Firmengründer oder Gründungsorte - das geht halt gar nicht mehr in Zeiten der Globalisierung. Hoechst muss Permira heißen, das Überlandwerk Groß-Gerau wird zu Eprimo und - besonders absurd - Karstadt Quelle
wird zu Arcandor.
"Verlässlichkeit, Treue, Mut" haben diese Kunstschöpfungen bei Psychotests vermittelt, behauptete allen Ernstes Arcandor - Vorstandschef Thomas Middelhoff, "sogar im Chinesischen".
Ach so, ja dann. Das ist jetzt wichtig, das mit China. Und die Seele der einheimischen Mitarbeiter kann sich ja später ein Berater kümmern. Vielleicht einer mit Fortbildung in spirituellem Coaching oder so.
Ganz neu ist die Problematik ja nicht. Ich weiß noch, wie in den 90er Jahren der Kinderkanal im Fernsehen gegründet wurde. Bei der Zeitung, bei der ich damals gearbeitet habe, war der jung-dynamische Ressortleiter Medien
beseelt von der Idee, der Kanal müsse "Örkk" heißen, "öffentlich-rechtlicher Kinderkanal". "Das wird Kult", dekretierte (verordnen, verfügen) er auf der Redaktionskonferenz und ließ den Artikel zum
Fernsehsender betiteln mit "ÖRKK!".
Na ja, später wurde Kika daraus, ein richtig schöner, gut verständlicher Name. Mit echten Kindern drin, also, geht doch. Der Medienchef fand’s bieder. Er war dann auch nicht mehr lange bei der bodenständigen
Zeitung, er hat eine große Karriere gemacht bei Bertelsmann. Oder war’s bei der Bertelsmann-Tochter Arvato?
Spätestens an dieser Stelle muss übrigens gefragt werden, wie lange Sonntag Aktuell noch so heißen kann, wie es heißt. Versteht das der Chinese? Kling es nach Stärke, Innovation uns sprachliche Brillanz?
Vielleicht sitzen die Chefs in Stuttgart ja längst am "Kunstnamen-Generator" im Internet, wo man sich aus sinnfreien Bestandteilen von "org" bis "nano" einen neuen Namen klonen kann. Hoffentlich sagen sie es mir rechtzeitig, ich
möchte das bitte nicht über Nacht per E-Mail erfahren. Örkk! Ursula Ott
Sonntag Aktuell, 14.10.07
Letzte Änderung: 21.11.2007