Warnung vor Rentenarmut

26.10.2007 Durchschnittsverdienern droht Abstieg in die Sozialhilfe

Zehntausende von Langzeitarbeitslosen droht ab 2008 die Zwangsverrentung, befürchtet Verdi -Chef Frank Bsirske. Viele könnten dadurch in die Sozialhilfe abrutschen. Davon wären insbesondere Frauen betroffen. Die Koalition denkt über Abhilfe nach.
Pünktlich zum Start des SPD-Parteitags in Hamburg beklagt der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, eine neue sozialpolitische Ungerechtigkeit: Ab Januar 2008 drohe zehntausenden von Arbeitslosengeld II-Empfängern die Zwangsverrentung. Dadurch würden ihre Renten dauerhaft um bis zu 18 Prozent gekürzt. Durchschnittsverdienern drohe der Abstieg in die Sozialhilfe.
Untere Lohngruppen würden tief in die Rentenarmut gedrückt.
Hintergrund ist das Auslaufen der 58-Regelung Ende dieses Jahres: Arbeitslose ab 58 Jahren können weiter Arbeitslosengeld beziehen, obwohl sie der Arbeitagentur erklären, dass sie nicht weiter eine Stelle suchen. Voraussetzung ist, dass sie zum frühestmöglichen Zeitpunkt, zu dem sie Anspruch auf eine Rente ohne Abschläge haben, in Ruhestand gehen.
So können sich also bisher frei entscheiden, ob sie schon vorher eine Rente mit Abzügen beantragen oder ob sie warten, bis dies ohne Minderung möglich ist.
Von Anfang 2008 entfällt diese Wahlmöglichkeit.
ALG II erhalten aber Langzeitarbeitslose nach der derzeitigen Rechtslage nur als letzte Möglichkeit: Können sie andere Einkommensquellen nutzen, so müssen sie dies tun. Dazu zählt - neben dem Verbrauch von Vermögen - auch eine vorzeitige Rente.
Bsirskes Vorwurf: Sie würden daher von der Arbeitsagentur gezwungen, einen Rentenantrag zu stellen, und das auch dann, wenn sie noch arbeiten wollten. Er forderte die Bundesregierung auf, eine Zwangsverrentung mit Rentenabschlägen grundsätzlich auszuschließen.
Die Bundesagentur für Arbeit bestätigte die Rechtslage. Dagegen bestritt eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums, dass Zwangsverrentungen drohen. Der Begriff sei "falsch und irreführend". Ohne Mitwirkung des Betroffenen sei ein Rentenantrag nicht möglich. Es müsse jeder Einzelfall geprüft werden.
In der Großen Koalition heißt es, man suche nach Lösungen wie Schonfristen und Ausnahmen. Der rentenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, der Emmendinger Abgeordnete Peter Weiß, äußerte allerdings Zweifel, ob dies möglich ist, ohne andere Ältere zu benachteiligen.
Wenn ALG II-Empfänger vorzeitig ohne Abschläge in Rente gehen könnten, müsse dies auch für gleich alte Arbeitnehmer gelten. Zudem könne ein Über-60-Jähriger jederzeit seine vorzeitige Rente unterbrechen, wenn er eine Stelle findet.
Regelaltersgrenze bei 65 Jahren
Noch liegt die Regelaltersgrenze bei 65 Jahren. Frauen bis einschließlich Jahrgang 1951 können zwar mit 60 Jahren in Rente gehen, sie müssen dann aber einen Abschlag von 18 Prozent in Kauf nehmen. Männer können die Rente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit nutzen, wenn sie spezielle Voraussetzungen erfüllen. Allerdings wird bei ihr derzeit das Mindestalter schrittweise von 60 auf 63 Jahre angehoben. Zudem wird auch ihre Rente für jeden Monat vor dem 65. Geburtstag um 0,3 Prozent gekürzt. Aus Gründen des Vertrauensschutzes kann mancher bis zum Jahrgang 1951 schon mit 60 Rente beziehen, aber auch nur mit Abzügen.
Südwestpresse, 26.10.07

Letzte Änderung: 21.11.2007