Vereinbarkeit von Beruf und Familie

04.11.2007 Ursula Ott macht sich Gedanken um die viel zitierte Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Nur für den Fall, dass mich mal wieder jemand fragt, was das eigentliche bedeutet, dieses Monsterwort "Vereinbarkeit von Beruf und Familie". Und ob das nicht eigentlich längst von gestern ist, aller erledigt und gebongt. Nur so ein Kampfbegriff aus vormodernen Zeiten.
Nur für diesen Fall, dass mich bald mal wieder jemand fragt - dem erzähle ich dann einfach von meinem letzten Freitag. Freitag ist mein Vereinbarungstag. Montag bis Donnerstag habe ich alles perfekt organisiert. Das eine Kind geht in die Ganztagsgrundschule, das andere Kind kriegt im Gymnasium ein Mittagessen. Zwar vom Massencaterer mit garantiert null Vitaminen, aber immerhin. Danach kann er bis 15 Uhr Hausaufgaben machen in einem "Silentium", das mit 50 Kindern in einem Raum zwar alles andere als "still" ist.
Aber immerhin, es ist eine Art von Betreuung. Um 15 Uhr kommen beide heim, und die Kinderfrau nimmt sie entgegen, spielt und lernt und kocht mit ihnen, bis Mama kommt.
Bloß freitags ist alles anders. Es gibt kein Silentium, weil es freitags ja auch keine Hausaufgaben gibt. Die Ganztagsschule macht mittags zu. Und die Kinderfrau, Anfang 60, hat neuerdings auch ein Vereinbarkeitsproblem: Sie muss nachmittags nach ihrer 85-jährigen Mutter schauen, weil freitags der Pflegedienst nur einmal am Tag kommt.
Alles völlig normal, so ist das Leben. Und natürlich bin ich privilegiert - würde ich bei Ford am Band stehen, könnte ich meinen Job kündigen. Ich bin erstens Journalistin, kann also in Maßen meine Zeit einteilen, zweitens arbeite ich in einem familienfreundlichen Betrieb. Und so kann ich es einrichten, dass ich jeden zweiten Freitag zu hause arbeite.
So wie letzten Freitag: mit dichtem Kalender, ganz genau hatte ich mir die Mails und Telefonate und kleinen Artikel aufgeschrieben, die ich bis 13 Uhr erledigen wollte am Homecomputer. Da stand um halb 12 überraschend mein Sohn vor der Tür: die letzten zwei Stunden ausgefallen, Englischlehrerin krank.
Das fand ich schon blöd genug, weil mein Kalender durcheinander geriet. Noch blöder aber: Da das Kind nun schon mal da war, setzte ich es ins Auto und fuhr mit ihm in den Supermarkt zum Einkaufen, muss ja auch gemacht werden.
Und wer steht vor uns an der Kasse: die angeblich kranke Englischlehrerin mit ihrem Baby. Sie murmelte was von "Babysitter krank", zahlte schnell und schob ihr Baby im Kindereinkaufswagen zum Auto.
Und das werktags um 12, eine Zeit, zu der wir beide eigentlich an den Arbeitsplatz gehören. Highnoon an der Rewe-Kasse. Showdown zwischen zwei schlechtgewissigen berufstätigen Müttern.
Nein, so stellt sich das weder Frau von der Leyen noch der Arbeitgeberpräsident vor.
Drei Frauen mit ihrem Vereinbarkeitsproblem: die Kinderfrau mit der alten Mutter, ich mit dem zehnjährigen Sohn und die Englischlehrerin mit ihrem Baby - uns schon ist die Welt ganz anders, als sich Politiker auf Parteitagen das so landläufig vorstellen. So lange Kinderbetreuung hauptsächlich privat geleistet wird, braucht nur ein Dominostein zu kippen - und schon fallen hoch bezahlte weibliche Arbeitskräfte einfach aus.
Was uns das lehrt? Dass vieles besser wäre, wenn es statt privaten Arrangements endlich bessere Einrichtungen gäbe. Früher waren meine Kinder im Hort, der hatte offen, egal ob alte Mütter oder kleine Babys gepflegt werden mussten.
Aber die Horte wurden geschlossen in meiner Stadt, waren zu teuer. Das im Zweifelsfall ich einspringe - in dem Fall auch noch für eine kranke Lehrerin - und meine hoch bezahlte Arbeitszeit opfere, kann dem Staat ja schnuppe sein. Die Kosten teilen sich mein Arbeitgeber und ich.
Aber das Beispiel lehrt auch: Perfekt kann keine noch so gute Betreuung sein. Wer Kinder hat, ist mit einem Teil seines Lebens immer auf Abruf. Und wer es ernst meint mit der "Vereinbarkeit", der muss akzeptieren, dass Menschen mit Kindern in der Regel hoch motiviert sind, verantwortungsvoll und ehrgeizig.
Aber eines sind sie nicht: Sie sind nicht mit Haut und Haaren für den Arbeitgeber verfügbar. Ich finde das gar nicht so schlimm, es macht unsere Gesellschaft vielleicht sogar wärmer und menschlicher.
Aber ich bin mir nicht sicher, ob es das ist, was sie meinen, wenn sie eine bessere "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" versprechen.
Sonntag Aktuell, 04.11.07

Letzte Änderung: 21.11.2007