Bemitleidet, belächelt, bewundert

13.11.2007 Eine Frau protestiert vor dem Weißen Haus

US-Präsidenten kommen und gehen, Conception Picciotto aber bleibt. Seit 26 Jahren zeltet die 62-jährige Tag und Nacht vor dem Weißen Haus. Mit Plakaten demonstriert sie für den Frieden und gegen die atomare Bedrohung. Und sie sucht das Gespräch mit den Passanten.
Touristenströme pilgern täglich mit Kamera bewaffnet durch den Lafayette-Park zum Pennsylvania Avenue, Hausnummer 1600: das Weiße Haus in Washington, ein Höhepunkt in jedem Besucherprogramm. Viele der umliegenden Straßen sind für Autos gesperrt. Vor dem Präsidentenanwesen parkt ständig ein Polizeiwagen.
Die beiden schwergewichtigen Polizisten haben scheinbar alles unter Kontrolle. Unauffälliger sind die Scharfschützen auf dem Dach des Weißen Hauses positioniert. Nur manchmal tritt einer aus dem Sichtschutz der weißen Zeltabspannung zwischen den Kaminen vor.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sticht ein anderer Zeltverschlag ins Auge, der eher in die Slums von New Delhi passt. Kein fotogener Anblick. Hier auf dem Gehweg am Rand des Parks haust Conception Picciotto, nur einen Steinwurf vom Wohnsitz des jeweiligen US-Präsidenten entfernt. Seit 1981 demonstriert die mittlerweile 62-Jährige für den Frieden, gegen die atomare Bedrohung, gegen Chemiewaffen und gegen Kriege.
US-Präsidenten kommen und gehen, spätestens taucht alle acht Jahre ein neues Gesicht auf. Conception bleibt. Seit 26 Jahren, unverdrossen. Wenn andere Demonstranten-Aufmärsche ihre Manifeste einpacken, harrt sie als Dauermahnwächterin aus. Tag und Nacht. Wenn andere im Pensionsalter vor dem eiskalten Winter in Washington monatelang ins warme Florida fliehen, bleibt sie.
Sie wird bemitleidet, belächelt, aber auch bewundert.
Ist sie ein lebendes Mahnmal, eine selbstlose Patriotin, vernarrte Idealistin oder nur eine spleenige Alte, der ein paar Schrauben fehlen, wie sie von der Parkpolizei ärgerlich charakterisiert wird? Der schnaubenden Obrigkeit ein Dorn im Auge, den Touristenscharen ein pittoreskes Fotomotiv: Washingtons berühmteste Demonstrantin.
Plakatwände umgeben den primitiven Unterstand. "Ban all the nuclear weapons" (Verbietet alle nuklearen Waffen) - Plakate, viele Friedensappelle, dazu Fotos von Kriegsgräuel und Kleinkindern, verunstaltet durch Chemiewaffen. Sie anzuschauen, das bringt nicht jeder über sich. Manche knipsen, spenden ein paar Dollars und diskutieren.
"In Moskau, da wäre die Frau schon längst in Sibirien entsorgt", vermutet ein Tourist. So viel Toleranz, so viel Recht auf Demonstrationsfreiheit - und das noch nach dem 11. September - überrascht die Passanten dann doch.
"Germans? Are you from Germany? (Deutsche? Sind Sie aus Deutschland?) Frau Picciotto hat ein paar Brocken aufgeschnappt und ist erfreut. "Warten Sie einen Moment", sagt sie und taucht ab, kramt und wuselt zwischen Bettlager, Kühlbox und Handzetteln hin und her. Stolz verteilt sie Kopien eines Artikels, der 1994 in einer Bremer Tageszeitung über die gebürtige Spanierin, die im Alter von 18 Jahren in die USA einwanderte, erschienen war.
Sie sucht das Gespräch mit den Stehengebliebenen. Was sie von Bush hält? wird sie gefragt. Der ist für sie ein rotes Tuch. Er sei der schlimmste der vier Präsidenten, deren Nachbarin sie war.
"Bush ist ein Terrorist. Er verheizt unsere Jungs im Irak. Sinnlos". Hat sie keine Angst vor Repressionen? "You know (Sie wissen), man gewöhnt sich. Ich wurde verhaftet, angepöbelt, beleidigt und auch zusammengeschlagen."
Wetter gegerbt ist ihr Gesicht. Die schwarze Perücke unter dem bunten Kopftuch wirkt wie eine Bärenfellmütze. Krumm und schief sind die Zähne, doch das Lächeln hat die Friedens-Lady nicht verlernt. Sie ist national, auch international bekannt. "Das schützt mich etwas." Und ihr Hund? "Mein treuer Kumpel, der ist friedliebend wie ich. Er wärmt mich nachts und im Winter."
Jetzt döst die Golden-Retriever-Mischung mit stoischer Ruhe neben der Behausung in der Washingtoner Herbstsonne. Fragen nach ihrer Familie, dem italienischen Nachnahmen, nach ihrem Leben vor 1981, wie sie ihr tägliches Dasein mit Essen, Toilette, Dusche organisiert - dafür hat Concita, wie manche sie nennen, keine Zeit.
"Sehr kompliziert, steht alles im Internet. Ich habe eine eigene Website", sagt sie nicht ohne Stolz. Bald ist sie von französischen Jugendlichen umringt. Fotos, Fragen - halt das übliche seit 26 Jahren für "The little Giant", die kleine Riesin, wie Conception Piccotto auch genannt wird.
www.prop1.org/conchita.
Südwestpresse, 13.11.07

Letzte Änderung: 21.11.2007