Mehrfachbeschäftigte in Deutschland

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09.06.2008 Ein Leben, zwei Jobs, kein Aufschwung

Die Wirtschaft in Deutschland brummt, die Zahl der Arbeitslosen sinkt. Trotzdem können immer weniger Menschen von einem Job allein leben. Sie müssen zusätzlich putzen, kellnern oder an der Kasse sitzen. Und trotzdem jeden Cent mehrfach umdrehen.

Claudia Schaller knipst das Licht aus und zieht den Kittel über den Kopf. Es ist 19.00 Uhr. Feierabend im Schlecker-Markt in Berlin-Hellersdorf. Aber anders als für ihre Kolleginnen ist für sie der Arbeitstag noch lange nicht zu Ende. Sie fährt nicht nach Hause, sondern zu ihrem Zweitjob. Bis weit nach Mitternacht wird die 46-Jährige in einem Lebensmittelgroßmarkt Ware auspacken.

"Moonlighter" heißen Menschen wie Claudia Schaller in den USA. Menschen, die mit ihrem zweiten oder dritten Job am Tag dann anfangen, wenn der Mond aufgeht. "Moonlighter" - Schaller hat das Wort noch nie gehört. Als deutscher "Moonlighter" schleppt sie für fünf Euro in der Stunde nachts Kartons, reißt Verpackungen auf, sortiert Dosen. Fünf Euro. Sozialdemokraten würden das Dumpinglohn nennen. Schaller nennt es "mein zweites Standbein". Sonst geriete ihr Leben aus der Balance.

Zwei Millionen Menschen mit zwei Jobs

Mittlerweile haben mehr als zwei Millionen Menschen in Deutschland neben ihrem Hauptberuf einen zweiten Job. "Seit 2003 hat sich die Zahl dieser sogenannten Mehrfachbeschäftigten fast verdoppelt", sagt Frank Wießner vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit.

Manche jobben doppelt, für den zweiten Urlaub im Jahr, den Neuwagen oder die Raten für den Hauskauf. Vor allen in strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland aber müssen immer mehr Menschen notgedrungen einen Zweit- oder sogar Dritt-Job annehmen, um über die Runden zu kommen. "Die Zahlen sagen nichts darüber aus, wer auf den Zweitjob wirklich angewiesen ist und wer möglicherweise bloß ein Hobby finanzieren will", sagt Wießner allerdings.

Jeder Cent wird dreimal umgedreht

Claudia Schaller, die ihren richtigen Namen nicht nennen will, aus Angst, einen ihrer Jobs zu verlieren, muss jedenfalls jeden Cent, den sie ausgibt, dreimal umdrehen. Exakt 965 Euro netto hat sie am Monatsende im Portemonnaie.

Nach 20 Tagen Arbeit im Monat, zwei Jobs und fünf Stunden Schlaf pro Nacht bleibt für sie nicht viel übrig. Die 50-Quadratmeter-Plattenbauwohnung kostet 422 Euro. Das Auto braucht sie, um jeden Tag zur Arbeit zu kommen. "Zum Tanken und Einkaufen fahre ich am Wochenende oft mal über die Grenze nach Polen. Da kostet der Sprit zehn Cent weniger und Butter und Wurst sind auch ein bisschen billiger." Wenn jetzt das Gas schon wieder teurer wird, muss sie neu rechnen. Zusehen, wo sie noch sparen kann.

"Ich bin kein Einzelfall"Ein Auto kann sich Elke Brandt schon lange nicht mehr leisten. Die 47-jährige Potsdamerin fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit. Sie malocht für eine Reinigungsfirma als Putzfrau. Täglich bis 21.00 Uhr wischt sie die Böden in einem Bankgebäude.

Weil die 600 Euro netto, die sie am Ende des Monats ausgezahlt bekommt, vorne und hinten nicht ausreichen, hatte sie bis vor einigen Wochen noch einen Mini-Job in einer Physiotherapiepraxis. Dann kündigte ihr die Firma kurzfristig. Der einzige Ausweg: Schwarzarbeit. Mit zwei weiteren, privaten Putzstellen hält sie sich über Wasser. "Für mich allein reicht es irgendwie", sagt sie. "Aber ich bin kein Einzelfall. Viele meiner Kolleginnen sind in derselben Situation. Und die haben mehrere Kinder zu versorgen."

Zwei von drei Mini-Jobbern sind Frauen"Mehrfachbeschäftigung ist ganz klar eher Frauensache", stellt IAB-Experte Wießner fest. Auch bei den 400-Euro-Jobs insgesamt stellen Frauen wie Claudia Schaller und Elke Brandt die Mehrheit. Zwei Drittel der inzwischen 6,6 Millionen Mini-Jobber sind Frauen, die meisten älter als 40 Jahre. Sie arbeiten als Pflegerin, als Kellnerin, als Putzfrau oder als Kassiererin.

"Als Hartz-IV Empfänger würde es mir finanziell vielleicht besser gehen", sagt Elke Brandt. Aber aufhören zu arbeiten? Das will sie auf keinen Fall. In ihrer winzigen Plattenbauwohnung am Rande Potsdams ist vom Aufschwung zwar noch nichts zu sehen, von dem die Politik im nahen Berlin immer spricht. "Aber Arbeit ist immer noch besser als Stütze", sagt sie und macht sich auf den Weg. Zum Putzen. Irgendwie muss das Geld ja reinkommen.

Tagesschau,stand 25.05.2008

Letzte Änderung: 09.06.2008