Zu Lasten der Frauen

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12.06.2008 Der Grüne Cem Özdemir fordert Umdenken

Die EU beklagt gravierende Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern besonders in Deutschland. Wir sprachen mit Cem Özdemir, Europaabgeordneter der Grünen und Kandidat für den Parteivorsitz.
Herr Özdemir, die EU-Kommission hat die immer noch gravierenden Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen beklagt. Deutschland schneidet dabei besonders schlecht ab.

CEM ÖZDEMIR: In Deutschland liegt der durchschnittliche Stundenlohn der Frauen um 22 Prozent unter dem der Männer. Auf der Führungsebene beträgt der Lohnunterschied sogar 33 Prozent. Das ist Alltag in der deutschen Wirtschaft - als bekomme eine Kanzlerin Merkel ein Drittel weniger als ihr männlicher Vorgänger.

Der Arbeitgeberverband führt an, dass das mit den familienbedingten Auszeiten von Frauen und ihren geringeren Arbeitszeiten zu tun hat. ÖZDEMIR: Die Rechtfertigungen beispielsweise der Arbeitgebervereinigung BDA gehen am Kern des Problems vorbei. Denn die unterschiedliche Bezahlung findet ja auch statt bei Frauen, die nicht weniger arbeiten. Es geht schlicht und ergreifend um Diskriminierung. Da ist es schon bemerkenswert, wie sehr sich die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin nach wie vor gegen die EU-Rahmenrichtlinie einsetzen, die Diskriminierung umfassend bekämpfen soll.

Im tariflich geregelten Bereich ist der Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit doch geltendes Recht?

ÖZDEMIR: Auf dem Papier Ja. In der Realität gibt es nach wie vor große Unterschiede. Zum einen gibt es immer noch traditionelle Rollenbilder, hier der Ernährer, dort die Erzieherin, als ob nicht beides gemeinsam möglich wäre. Zum anderen wird die ununterbrochene Vollerwerbstätigkeit bei uns belohnt. Dadurch werden aber Frauen systematisch benachteiligt, wenn es wie in Deutschland kein umfassendes und hochwertiges Kinderbetreuungsangebot gibt. Außerdem wird in Bereichen, in denen besonders viele Frauen arbeiten, besonders schlecht bezahlt, ob nun Floristik, Friseurhandwerk oder im Gaststättengewerbe. Auch deshalb wäre ein Mindestlohn mehr als gerechtfertigt. Aber auch in Führungspositionen sieht es oft nicht besser aus und Männer bekommen für gleiche Arbeit mehr Gehalt.

Wie kommt so ungleiche Bezahlung bestimmter typischer Frauen- bzw. Männerberufe zustande?

ÖZDEMIR: Da wird Frauen unterstellt, sie seien weniger produktiv, hätten weniger Führungsqualitäten oder könnten sich nicht durchsetzen. Es geht aber auch um die gerechte Einstufung von Gehältern. Beim typischen Männerberuf Hausmeister ist die körperliche Belastung ein Gehaltskriterium, in der Altenpflege, wo viele Frauen arbeiten, jedoch nicht. Das Kriterium der Verantwortung gilt oftmals nur für Personalführung oder Geldmittel, aber nicht für Ausbildung oder Anleitung. Auch das gereicht Frauen zum Nachteil.

Kann die Politik das allein ändern?

ÖZDEMIR: Wir brauchen alle Akteure. Wir brauchen die Politik, die Gewerkschaften, die Unternehmer, die sich gleichermaßen zum Ziel setzen müssen, die unterschiedliche Entlohnung von gleicher Arbeit so schnell wie möglich abzustellen. Diese Diskriminierung von Frauen ist durch nichts zu rechtfertigen. Ganz im Gegenteil, die Wirtschaft schadet sich selbst. Wir vergessen, dass die Bildung von Frauen durchschnittlich besser als die der Männer ist.

Was kann die europäische Politik an den Missständen ändern?

ÖZDEMIR: Kommissionspräsident Barroso hat bei seinem Amtsantritt 2004 versprochen, dass es eine umfassende Antidiskriminierungspolitik geben soll. Jetzt will er das Gesetzesvorhaben auf die Diskriminierung aufgrund von Behinderungen beschränken. Es geht aber auch um Diskriminierungen aufgrund von anderen Kriterien, beispielsweise das Geschlecht. Da gibt es massiven Gegenwind insbesondere von der Bundesregierung. Wir sehen jetzt, dass eine gesetzliche Rahmenbestimmung der EU gegen jede Form der Diskriminierung dringend notwendig ist.

SÜDWEST PRESSE,12.06.2008

Letzte Änderung: 12.06.2008