Mai-Kundgebung in Tübingen

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02.05.2009 Rund 1.000 Teilnehmer bei Mai-Kundgebung - Grüner OB im "Blaumann" - Der Ton wird rauer

Die weltweite Wirtschaftskrise war freilich das große Thema der diesjährigen Mai-Kundgebung auf dem Tübinger Marktplatz. Und der war wesentlich voller als in den Jahren zuvor. Rund 1.000 Teilnehmer/innen waren dabei. Sie demonstrierten für mehr Investitionen in die Infrastruktur, gesetzliche Mindestlöhne, sichere Arbeitsplätze und Erhöhung der Hartz IV-Sätze. Dabei wurde der Ton hörbar rauer.

Etwa 300 Demonstranten zogen gegen 10.40 Uhr vom Tübinger Europaplatz los. Auf ihrem Marsch über die Neckarbrücke, durch die Neckargasse bis hin zum Marktplatz reihte sich noch so mancher ein - nur die Touristen machten einen Bogen um die größer werdende Demonstranten-Schar.

Rund 1.000 waren es wohl, die sich da am 1. Mai auf dem Tübinger Marktplatz versammelten. Wie gehabt präsentierten sich dort auch die Parteien. Freilich nicht alle, aber DKP, Linke, MLPD und sogar SPD zeigten sich, zudem der "Tübinger Arbeitslosentreff" (TAT).

Ein grüner OB im "Blaumann"

Ein Stand der Grün-Alternativen fehlte. Nicht weiter schlimm, trat doch gleich zu Beginn Tübingens Grüner und Oberbürgermeister Boris Palmer ans Mikro und sprach ein Grußwort. In seinem "Blaumann", wie Palmer sein feines himmelblaues Tuch nannte (sieht so der Blaumann eines Grünen aus?), bedankte sich der OB, dass er bei der Begrüßung nicht mehr Buhrufe von den Mai-Kundgebungsteilnehmern erhalten hatte als Martin Rosemann, Tübinger SPD-Gemeinderatsmitglied und -Kandidat für den Bundestag.

"Jahrelang", stellte dann der OB fest, "haben wir über unsere Verhältnisse gelebt". Die "Strohfeuer-Ökonomie" breche nun wie ein Kartenhaus zusammen. Nach der Abwrackprämie, die jetzt wie eine Droge wirke, werde erst recht die Krise kommen, warnte er.

Die Stadt habe in diesem Jahr 40 neue Arbeitsplätze geschaffen, insbesondere für die Erziehung der Kinder. Investitionen in Schulgebäude, Wohnungen, Handwerk und Dienstleistungen habe sie getätigt. Schließlich habe Palmer eine Verfügung unterzeichnet, wonach Aufträge bis 500.000 Euro ausschließlich in der Region vergeben werden sollen.

Banken sind nur Mittel zum Zweck

Dass nicht "wir", sondern "die anderen" über ihre Verhältnisse gelebt hätten, entgegnete die baden-württembergische Verdi-Landeschefin Leni Breymaier dem OB. Den Karren hätten Wirtschaftsbosse und Bankmanager an die Wand gefahren, und die Politik habe ihnen die Gesetze dafür gebacken.

Nicht die Banken seien systemrelevant, so Breymaier. Systemrelevant sei vielmehr "ein Leben in Würde", Bildung, die nicht ausgrenzt, gesetzliche Mindestlöhne, sichere Arbeitsplätze und die Gesundheitsversorgung. Banken seien lediglich Mittel zum Zweck.

Rund 5,5 Millionen Menschen verdienten weniger als 7,50 Euro, rund 1,5 Millionen gar weniger als fünf Euro in der Stunde, hat die Verdi-Landesvorsitzende ausgerechnet. Und die Rentner bekämen durchschnittlich 1.000 Euro, Rentnerinnen nur 500 Euro Rente monatlich. Breymaier: "Denen geht's nicht zu gut."

Breymaier forderte die Rücknahme der Rente mit 67 ("Müntefering hat sich über'n Tisch ziehen lassen"), Erhöhung der Hartz IV-Regelsätze, "einen gescheiten Kündigungsschutz" und rief weitere Organisationen dazu auf, "eine gemeinsame soziale Bewegung" aufzubauen, um diese Erde zu erhalten. Denn eine andere Welt sei möglich. Breymaier setzte sich auch für ein Verbot der NPD ein und erntete dafür großen Beifall.

Die Solidarität vermisst

Wütend ergriff Klaus Rahlf vom "Tübinger Arbeitslosentreff" das Wort. "Wir wollen soziale Unruhen", sprach er, "wir wollen, dass sich die Armen nicht mehr alles gefallen lassen." Das so genannte Job-Center halte nicht, was es verspreche. Jobs gebe es dort nämlich keine. Vielmehr lege es den Leistungsempfängern nahe, sich billigere Wohnungen zu suchen, obwohl es in Tübingen gar keine billigeren Wohnungen gebe.

Enttäuscht zeigte sich Rahlf von "einer Partei in dieser Stadt". Die nämlich habe sich im Jahre 2004 für einen Mietspiegel in Tübingen ausgesprochen. Der hätte die Ärmsten vor Missbrauch bewahrt, sagte Rahlf. Zur Erläuterung: Vergangene Woche hätte die TüLL (Tübinger Linke) durch ihre Stimmen im Gemeinderat den Mietspiegel für Tübingen einführen können. Bekanntlich hat sie mehrheitlich dagegen gestimmt. Rahlf: "Die Solidarität haben wir leider vermisst."

Mehr Flagge zeigen

Auch Ismayil Arslan, Betriebsratsvorsitzender bei Siemens Geared Motors, forderte eine Stärkung der Binnennachfrage durch Stärkung der Kaufkraft, den Mindestlohn, gleiches Geld für gleiche Arbeit, den Erhalt der Arbeitsplätze sowie konsequente Regeln für den Finanzmarkt. Er warf dem Staat vor, die Bürger nicht vor den Kapitalgesellschaften geschützt zu haben. "Wir werden betrogen und belogen", so Arslan. Das tue weh und mache sehr wütend. "Mehr Flagge zeigen", so müsse nun die Devise lauten: "Geht auf die Straße und zeigt, dass man mit euch nicht alles machen kann."

Die Schuld am derzeitigen Personalmangel an der Tübinger Uni-Klinik gab Angela Hauser der Gesundheitspolitik. Die Vorsitzende des Personalrats am Uni-Klinikum mahnte "dringenden Handlungsbedarf" an. Den Investitionsstau von 1,1 Milliarden Euro müsse das Land rasch abbauen. Und der Bund solle die seit 16 Jahren bestehende Deckelung des Krankenhausbudgets endlich beseitigen. Beschäftigte und Patienten seien die Leidtragenden. Hauser: "Es brennt an allen Ecken und Enden."

schwäb. tagblatt,02.05.2009

Letzte Änderung: 02.05.2009