Im Notfall muss der Staat ran

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30.05.2009 Der Mann, der die größte Gewerkschaft modernisiert

Berthold Huber, Chef der IG Metall, über die Krise, industrielle Kerne und den Fall Opel
Der Staat muss die industriellen Kerne, auch Opel, retten - notfalls über eine vorübergehende Beteiligung. Berthold Huber, Chef der IG Metall, will zudem die Tarifverträge noch mehr als bisher schon flexibilisieren.
Herr Huber, nützt die Krise der Gewerkschaft, weil sie dabei besser Mitglieder mobilisieren kann?

BERTHOLD HUBER: Die Krise nützt den Gewerkschaften nicht von allein. Wer den Arbeitsplatz verliert, bleibt nicht auf Dauer bei uns. Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz und das bringt uns Zustimmung. Wir wollen die Möglichkeit nutzen, unsere Vorstellungen zu platzieren.

Die Abwrackprämie etwa geht zum guten Teil auf Ihre Initiative zurück?

HUBER: Ja. Ähnliches gilt für die Verlängerung der Kurzarbeit. Auch die Idee eines mittelfristigen Konjunkturprogramms für Bildung und Infrastruktur ist wesentlich von uns in die Debatte gebracht worden.

Mit Erfolg. Selten zuvor war so viel gemeinsames Interesse zwischen Gewerkschaften, Unternehmen und Politik wie derzeit?

HUBER: Wir sind in der Politik auf offene Ohren gestoßen. Das war nicht selbstverständlich, weil einige immer noch meinen, der Markt richte das alles. Zum Glück gibt es hier einen Mentalitätswechsel. Allein die Abwrackprämie hat bislang rund 200 000 Arbeitsplätze gesichert. Auch die Kurzarbeit verhindert massenhafte Entlassungen. Und nichts ist teuerer als Massenarbeitslosigkeit. Wir glauben aber nicht, dass dies alles ausreicht. Wir werden zu einem dritten Konjunkturprogramm kommen müssen.

Die IG Metall demonstriert gegen drohenden Stellenabbau. Die Unternehmen selber wollen doch ihre Mitarbeiter halten, so lange es nur geht?

HUBER: Wir spüren sehr wohl, wie ein Entlassungsdruck aufgebaut wird. Es gibt Banken, die ihre Kreditvergabe an Entlassungen binden. Das nimmt zu, die Kredite und die Konditionen dafür werden zunehmend schwieriger für die Unternehmen. Dies könnte im zweiten Halbjahr noch Probleme machen. Aber in der Tat gibt es Firmen, die ihre Leute halten wollen und auf ihre Leistungsträger unbedingt setzen.

Tun das nicht mehr oder weniger alle? Sind nicht jene die Ausnahme, die Sie unlängst als Trittbrettfahrer der Krise kritisiert haben?

HUBER: Schaeffler wollte 5000 Stellen streichen. Wir haben das wegverhandelt, auch über Mobilisierung und Druck. Über vereinbarte Kostenziele haben wir betriebsbedingte Kündigungen verhindert. Solche Dinge fallen uns nicht in den Schoß. In Wiesbaden haben wir gerade bei einem Betrieb, der 436 Mitarbeiter entlassen wollte, 236 Kündigungen nach einem Streik wegbekommen, die restlichen 200 werden über Altersteilzeit und ähnliche Instrumente abgebaut.

Sie haben viele Beschäftigungssicherungs-Verträge abgeschlossen. Sollte die Krise noch länger anhalten, dann können solche Verträge doch kippen? Etwa bei Daimler?

HUBER: Wir haben über das Pforzheimer Tarifmodell in den vergangenen fünf Jahren in 1400 solcher Vereinbarungen Beschäftigung für hunderttausende von Mitarbeitern gesichert. Bei Daimler haben wir ein spezifisches Problem. Ich will nicht verhehlen, dass wir uns große Sorgen machen. Wir haben hier einen hohen Abfluss von Cash gehabt. Alles setzt jetzt auf die E-Klasse. Bei den Nutzfahrzeugen ist die Nachfrage extrem eingebrochen.

Was macht man als Gewerkschaft angesichts solcher Fakten?

HUBER: Man geht in konkrete Verhandlungen, nützt Kurzarbeit. Wir haben auch die Mitarbeiter der Verwaltung einbezogen, damit die Lasten von allen getragen werden. Auch vom Management, wo es gravierende Einschnitte beim Entgelt und bei den Bonuszahlungen gibt.

Die zweite Stufe der Lohnerhöhung wurde vereinbart, als die Wucht der Krise noch nicht so absehbar war. Wäre eine generelle Verschiebung dieser Erhöhung keine Geste des Vertrauens gewesen?

HUBER: Wir haben die Schwierigkeiten schon im Herbst gesehen und den Tarifvertrag entsprechend verhandelt. Betriebsräte und Unternehmensleitung können eine Verschiebung vereinbaren. Aber eine grundsätzliche Verschiebung machen wir nicht. Wir wollen Mitnahmeeffekte verhindern. Nach unseren Umfragen hat nur ein Drittel der Betriebe die Lohnerhöhung verschoben, zwei Drittel aber haben die Löhne wie vereinbart im Mai in einem zweiten Schritt erhöht.

Haben Sie dabei bei den Betriebsräten ein bisschen nachgeholfen?

HUBER: Nein, wir üben keinen Druck auf die Betriebsräte aus. Sie sind es, die im Zweifel zu uns kommen und fragen, wie sie sich verhalten sollen. Wir schauen dann die Fakten an und die Gegenleistungen. Eine pauschale Verschiebung wäre auch gesamtwirtschaftlich nicht sinnvoll, weil es die Nachfrage schwächte, die wir jetzt so nötig haben. Kurzarbeit bedeutet ja bereits massive Einkommens-Einbußen.

Hat die Krise nicht die Prioritäten verschoben? Vorher ging es nur um Geld, jetzt steht die Sicherheit des Arbeitsplatzes im Vordergrund?

HUBER: Wir machten auch schon in den letzten Jahren eine Tarifpolitik, die sehr stark auf Beschäftigung und Arbeitsplätze setzte. So kam es ja zum Pforzheimer Modell, das den Flächentarifvertrag auf die jeweilige betriebliche Situation abstimmt.

Was maßgeblich Ihr Verdienst war.

HUBER: Es war kein einfacher Prozess, auch nicht innerhalb der IG Metall. Aber wir mussten doch eine Antwort geben auf eine Wirtschaft, die sich immer mehr ausdifferenziert. Wenn es dem einen Unternehmen gut geht und dem anderen schlecht, brauchen wir Tarifverträge, die Atmungsmöglichkeiten erlauben. Wir werden sie in Zukunft noch mehr brauchen. Wenn wir den Flächentarif halten wollen, müssen wir ihn flexibel machen.

Die Rettung der Banken hat die Diskussion um die Rolle des Staates ausgelöst. Soll der Staat Opel oder Schaeffler oder Arcandor helfen?

HUBER: Die Rettung der Banken war unabdingbar. Auch in den anderen Fällen ist meine Position eindeutig: Selbstverständlich muss man für eine Übergangszeit bis hin zu einer staatlichen Beteiligung an strategisch wichtigen Unternehmen gehen. Es sei denn, Sie haben andere Investoren. Ich plädiere nicht generell für die Beteiligung des Staates. Aber wenn es nicht anders geht, um die industriellen Kerne zu erhalten, wird der Staat dies nicht kaputt gehen lassen können. Solche industrielle Kerne sind ebenso systemrelevant wie die Banken. Die eigentliche Wertschöpfung geschieht doch in der industriellen Produktion. Großbritannien hat seine industrielle Produktion leichtfertig aufgegeben. Heute ist man sich dort einig, dass die De-Industriealisierung ein Fehler war. Warum sollen wir den gleichen Fehler machen?

Wie soll sich der Staat engagieren? Mit Bürgschaften, mit direkten vorübergehenden Beteiligungen?

HUBER: Beide Möglichkeiten sind denkbar. Wenn sich etwa bei Opel kein Investor findet, kein überzeugendes Modell vorgelegt wird oder uns die Zeit davonläuft, dann muss sich der Staat beteiligen. Und wenn sich das Unternehmen stabilisiert hat, werden private Investoren auftreten und der Staat kann sich wieder zurück ziehen. Die Beteiligung braucht damit auch kein Verlustgeschäft sein.

Aber nur, wenn Opel sich am Markt bewährt?

HUBER: Opel ist in den letzten Jahren sehr viel stärker konkurrenzfähig geworden. Wir haben aber bei Opel seit zehn Jahren Auseinandersetzungen ohne Ende - über die verfehlte Modellpolitik, die schlechte Qualität bis hin zur Beschränkung des Vertriebs nur auf Europa. Dass Opel inzwischen wieder auf gutem Weg ist, schreibe ich auch entscheidend den Betriebsräten und der IG Metall zu. Auch deshalb plädiere ich für mehr Mitsprache und mehr Mitbestimmung in den Unternehmen. Die Mitarbeiter haben das größte Interesse an einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung, weil sie mit ihrem Arbeitsplatz dafür haften.

Berthold Huber, 59, ist seit 2007 Vorsitzender der Industriegewerkschaft (IG) Metall. Er wuchs in Herrlingen bei Ulm auf. Nach dem Abitur lernte er Werkzeugmacher beim Bushersteller Kässbohrer (heute Evobus) und wurde dort mit 28 Jahren Betriebsratschef. Später studierte er Geschichte, Philosophie und Politik, schloss das Studium aber nicht ab. 1998 wird er Chef der IG Metall Baden-Württemberg und profiliert sich als Tarifpolitiker und Modernisierer. Er hat sich zum Ziel gesetzt, den Mitgliederschwund der IGM zu stoppen. Huber ist Vater dreier Kinder.

Die IG Metall ist mit 2,3 Millionen Mitgliedern die größte und schlagkräftigste Einzelgewerkschaft. hes

südwest presse,30.05.2009

Letzte Änderung: 30.05.2009