Arbeitskampf vor Gericht

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26.07.2009 Kirchentellinsfurter Bekleidungshersteller kommt mit Entlassungs-Antrag nicht durch

Zwei Einhorn-Betriebsrätinnen dürfen nicht wegen Vertrauensbruch entlassen werden. Einen entsprechenden Antrag der Geschäftsleitung lehnte das Arbeitsgericht Reutlingen gestern ab.
Reutlingen/Kirchentellinsfurt. "Die Anträge werden zurückgewiesen - das heißt, wir haben gewonnen", jubelte gestern Nachmittag die Gewerkschaftsseite. Der Antrag der Geschäftsleitung auf außerordentliche Kündigung zweier Betriebsratsmitglieder, darunter die Betriebsratsvorsitzende, und deren Ausschluss aus dem Betriebsrat scheiterte damit vor Gericht. Hintergrund ist, nach Auffassung der Geschäftsleitung, ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht.

Die Betriebsrätinnen Sabine Wagner und Tanja Denzel sollen ausdrücklich als vertraulich eingestufte Informationen aus einem Gespräch zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat an die Belegschaft weitergegeben haben - indem sie eine geplante Auslagerung von Abteilungen des Kirchentellinsfurter Textilherstellers publik gemacht haben sollen.

Diese Version stimmt allerdings nicht mit dem überein, was gestern von Betriebsrats- und Gewerkschaftsseite zu hören war. Zum einen sei das Gespräch in keinster Weise als vertraulich gekennzeichnet gewesen. "Ich weiß, was es heißt, wenn jemand sagt ‚Das wird vertraulich behandelt‘", sagte Betriebsratsvorsitzende Sabine Wagner. Vielmehr sei die fragliche In formation in einem Telefongespräch zwischen Gewerkschaftssekretärin Maria Rihm und Einhorn-Anwalt Boris Behringer bekannt geworden - und dann durch Rihm an den Betriebsrat weitergereicht worden. In diesem Fall wäre die Weitergabe als Mitteilung einer "offenkundigen Tatsache" aufzufassen. Die IG Metall jedenfalls hat ihrerseits Strafanzeige gegen die Einhorn-Geschäftsleitung erstattet - wegen Behinderung der Tätigkeit des Betriebsrats.

Leiharbeiter und Studenten auf Abruf

Nicht nur diese Anzeige wurde im Verlauf der Verhandlung mehrfach thematisiert. Auch andere gegen Einhorn anhängige Klagen von Mitarbeiter(inne)n tauchten am Rande immer wieder auf. Um die Zahlung von noch ausstehendem Urlaubs- und Weihnachtsgeld geht es da. Ein anderes heikles Thema bei Einhorn: Der Austritt aus dem Arbeitgeberverband im Februar 2008 und seine Folgen für die rund hundert Beschäftigten.

Beim Bekleidungshersteller gibt es seither Mitarbeiter mit tariflichen Altverträgen und solche, die einen Zusatzvertrag unterschrieben haben. Außerdem, berichtete eine ehemalige Mitarbeiterin vor dem Gerichtssaal, beschäftige das Unternehmen Leiharbeiter und Studenten "auf Abruf".

"Die Demokratie endet am Werkstor"

Im Lauf der Verhandlung hatte die Geschäftsleitung vorgeschlagen, die erst im März anstehenden Betriebsratswahlen vorzuziehen. Zum einen sei das Vertrauen zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung aufgrund der Streitigkeiten zerrüttet. "Von meiner Seite aus ist das Vertrauen zu diesen beiden Personen zerstört", erklärte Geschäftsführer Michael Krieger. Und aus der Belegschaft sei zu hören, man "wisse gar nicht, was der Betriebsrat da für Sachen treibt", sagte Einhorn-Anwalt und Arbeitgeberverbands-Vertreter Behringer. Man habe Informationen, nach denen die Beschäftigten sich nicht mehr mit dem Betriebsrat identifizieren könnten - weshalb man die Entscheidung nun "in die Hände der Belegschaft legen" wolle.

"Vielleicht braucht man ja einen schwächeren Betriebsrat?" mutmaßte denn auch IG-Metall-Rechtssekretär Matthias Holz. Seine Kollegin Rihm bezeichnete Bestrebungen, den Betriebsrat vorzeitig neu zu wählen, nach der Verhandlung als "schizophren, außer man geht davon aus, dass die Wahl anders ausgeht". Eine Befürchtung, die nicht unbegründet scheint.

Ehemalige Mitarbeiter berichteten im Anschluss an die Verhandlung von enormem Druck auf die Arbeitnehmer - es werde "Stimmung gemacht im Betrieb". Während Beschäftigte, die Zusatzverträge nicht unterschreiben wollten, "auf der roten Liste" landeten, würden anderen, die sich im Sinne der Geschäftsleitung verhalten, "in netten Vier-Augen-Gesprächen" schon mal eine Lohnerhöhung in Aussicht gestellt - ein Bonus-Malus-System. Als "einen der wenigen Betriebe, bei denen die Demokratie am Werkstor endet", bezeichnete Reutlingens IG-Metall-Vizechef Dieter Keiper den Kirchentellinsfurter Textilhersteller.

Seit 2007, als man knapp an einer Insolvenz vorbeischrammte, gehört Einhorn dem Münchner Finanzinvestor Aurelius. Dieser Konzern sei "auf Kauf und Verkauf angelegt", wie Maria Rihm erklärte. Die Absicht, Unternehmensteile auszulagern, so Gewerkschaftsfunktionär Keiper, "ist versteckter Personalabbau".

Gegen den Beschluss des Reutlinger Arbeitsgerichts kann der Textilkonzern nun vor dem Landesarbeitsgericht in Berufung gehen. Die Staatsanwaltschaft Tübingen jedenfalls wird laut Sprecher Alexander Hauser die Ermittlungen gegen die Einhorn-Geschäftsführer "im Lichte dieser Entscheidung" des Arbeitsgerichts wieder aufnehmen, sobald das Urteil schriftlich vorliegt.

Text: katharina mayer
schwäbisches tagblatt,24.07.2009

Letzte Änderung: 26.07.2009