Für Tarifrituale fehlt die Zeit

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09.02.2010 IG-Metall-Chef Berthold Huber bricht für sichere Arbeitsplätze mit Tabus

Lohnforderung, brüske Zurückweisung, Warnstreiks, nächtelange Verhandlungen, Einigung. Das alles soll es bei der neuen Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie nicht geben. Es geht nur noch um Jobs.

Die beiden Tarifpartner sind sich im Ziel schon einig: links Gesamtmetallchef Martin Kannegiesser, rechts IG-Metall-Chef Berthold Huber. Archivfoto Frankfurt Berthold Huber bricht mit Tarif-Tabus. Deutlich vor der sonst üblichen Zeit und voraussichtlich ohne bezifferte Forderung führt der Vorsitzende die IG Metall in die Tarifverhandlungen für die rund 3,4 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie - ein für die mächtigste Gewerkschaft Deutschlands bisher einmaliger Vorgang.

Im Vordergrund der noch vom Gewerkschaftsvorstand abzusegnenden Strategie steht die Sicherung der Jobs in Deutschlands zentraler Industriebranche, die in der Wirtschaftskrise wie keine andere zum süßen Gift der Kurzarbeit gegriffen hat. Die teure Medizin der öffentlich subventionierten Arbeitszeitverkürzung droht auszugehen, so dass IG Metall und der Arbeitgeberverband Gesamtmetall bereits seit Monaten gemeinsam nach Ersatzdrogen suchen. Bezahlen soll auch die Allgemeinheit.

Im laufenden Jahr stehen die Zeichen anders als in all den Jahren zuvor. Die Produktion in der Metall- und Elektroindustrie ist um ein Drittel eingebrochen, die Belegschaft hingegen nur um 5 Prozent geschrumpft. Auch die Gewerkschaft sieht jeden vierten bis fünften Job wackeln. "Die alten Rituale machen in dieser einmaligen Situation keinen Sinn. Wir brauchen einmalige Lösungen", meint der Frankfurter Gewerkschaftsforscher Josef Esser.

Zentraler Bestandteil von Hubers "Jobpaket" ist daher eine weitere Arbeitszeitverkürzung über die Tarifverträge, die nach Auslaufen der Kurzarbeit greifen soll. Statt wie bisher ohne Lohnausgleich auf bis auf 29 Wochenstunden soll es bei einer gleichzeitigen Job-Garantie künftig auf bis zu 26 Stunden runtergehen können, lauten Vorschläge. Die IG Metall will aber einen Teillohnausgleich durchsetzen. Wie beim Kurzarbeitergeld sollten darauf keine Steuern und Sozialabgaben erhoben werden.

Die Arbeitgeber haben bisher offiziell abgewunken: "Man sichert Arbeitsplätze nicht dadurch, dass man sie teurer macht", sagte Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser und brachte die Bundesagentur für Arbeit als Finanzier ins Spiel. Diese werde unter dem Strich entlastet, da das tarifliche Kurzarbeitergeld günstiger ausfalle als das gesetzliche.

"Die Forderung nach einem Teillohnausgleich kostet die Arbeitgeber Geld. Letztendlich bedeutet diese Art der Beschäftigungssicherung eine Erhöhung der Stundenentgelte, für die auf andere Erhöhungen verzichtet werden müsste", analysiert Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Dies habe Huber mit seinem Verzicht auf eine bezifferte Entgeltforderung offenbar berücksichtigt. Tatsächlich hat der Gewerkschaftsboss nur eine "Reallohnsicherung" genannt, nach gegenwärtiger Inflationserwartung also ein knappes Prozent, das möglicherweise auch noch in Form einer Einmalzahlung kommen könnte.

Das größte Fragezeichen steht hinter der gewünschten staatlichen Beteiligung. Tarifexperte Lesch sieht unter bestimmten Bedingungen kein Problem: "Der Staat müsste verbindliche Gegenleistungen einfordern, wenn er tatsächlich eingreift. Die Arbeitgeber müssten verlässliche Zusagen zur Beschäftigungssicherung machen, während sich die Gewerkschaften mit ihren Forderungen zurückhalten müssten." Experte Esser sieht die IG Metall in einer Vorreiterrolle. Die Regierung müsse aber darauf achten, eine eventuelle Lösung auch anderen Branchen offen zu halten. "Ein Bonus allein für die Metall- und Elektroindustrie geht nicht." dpa

südwest presse,09.02.2010

Letzte Änderung: 09.02.2010