Kurs halten! Gleichstellung

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26.03.2010 Nachbetrachtungen zum 8.März

Am Montag den 8. März war, wie jedes Jahr, wieder internationaler Frauentag. Dieses Jahr unter dem Motto "Kurs halten! Gleichstellung". Immer wieder höre ich Sätze wie: Wozu das ganze. Was wollt ihr den noch. Ihr seid doch schon Gleichberechtigt. Selbst unser Kanzler ist eine Kanzlerin.
Das unser einflussreichstes Amt momentan von einer Frau bekleidet wird ist unumstritten, aber sind wir deswegen wirklich schon Gleichberechtigt? Auf den ersten Blick ja, aber schaut man genauer hin, ergibt sich ein anderes Bild.
Ein langer steiniger Weg liegt bereits hinter uns aber am Ziel sind wir noch lange nicht. Jetzt, gerade in der Krise, aufzuhören wäre Rückschritt. Dabei ist ebenfalls zu bedenken, dass in wirtschaftlich schwierigen Zeiten traditionell konservatives (man denke an Eva Herrmann) und religiös fundamentalistisches (z.B. verschiedene radikale Freikirchen oder radikale Islamisten) Gedankengut erstarkt. Wird die Zukunft unsicher ziehen sich viele in alt Hergebrachtes zurück, das scheint sicher weil bekannt, das ist menschlich. Ein Vorgang der sich in der Geschichte unserer und auch anderer Kulturen immer wieder zyklisch wiederholt.

Da vielen, vor allem jungen Frauen, heute nicht mehr bewusst ist was der internationale Frauentag für eine Bedeutung hat will ich Dich, liebe Leserin, lieber Leser, zunächst auf einen kleinen Ausflug in die Geschichte mitnehmen.
Der internationale Frauentag ist ein hochpolitischer Tag, kein zweiter Muttertag.
Der Ursprung des internationalen Frauentags wird je nach politischer Couleur und in verschiedenen Ereignissen gesehen.
Das eine ereignete sich am 8. März 1908 in einer Textilfabrik in New York. An diesem Tag traten die Arbeiterinnen in einen Streik um bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen. Um eine Solidarisierung der Gewerkschaften und anderer Belegschaften zu verhindern, wurden diese Frauen vom Fabrikbesitzer und den Aufsehern in der Fabrik eingeschlossen. Aus ungeklärten Gründen brach in der Textilfabrik ein Brand aus und zerstörte sie gänzlich. Nur wenigen der eingesperrten Arbeiterinnen gelang die Flucht; 129 Arbeiterinnen starben in den Flammen.
Das andere ereignete sich in Russland. Am 8. März 1917 demonstrierten in St. Petersburg Frauen anlässlich des Internationalen Frauentages, der auf Initiative der deutschen Sozialistin Clara Zetkin auf der zweiten internationalen Frauenkonferenz 1910 in Kopenhagen ins Leben gerufen wurde. In den Textilfabriken traten die Arbeiterinnen in den Streik und forderten andere Betriebe auf, sich anzuschließen, so dass schließlich 90 000 Menschen streikten. Am 12.03.1917 mündete diese Unzufriedenheit in einen Aufstand - die Februarrevolution - in Folge derer der Zar abdankte und eine provisorische bürgerliche Regierung die Staatsführung übernahm.
Die Wurzeln des 8. März liegen also in der Tradition proletarischer Frauenkämpfe.

Seit dem sind wir Frauen in unserem Kampf um gleiche Rechte und gleiche Chancen einen großen Schritt vorangekommen. Die formale Gleichberechtigung haben unsere Mütter, Großmütter und Urgroßmütter erkämpft.
Am 19. Januar 1919, also vor 90 Jahren durften Frauen in Deutschland das erste Mal Wählen und gewählt werden.
Am 01.06.1958 wurde die Gleichstellung von Mann und Frau im Grundgesetz festgeschrieben, davor galten Gesetze, die jüngeren Frauen unwirklich und wie aus dem Mittelalter erscheinen. So durften Frauen beispielsweise kein eigenes Konto führen oder nur mit Erlaubnis ihres Gatten arbeiten gehen. Das hatte selbstverständlich nicht nur Auswirkungen auf das öffentliche Leben der Frauen. Auch im privaten hatte der Mann das letzte Wort: Für Mädchen und unverheiratete war das der Vater, für verheiratete Frauen der Gatte. Ehefrauen waren Mütter und Haushälterinnen und eben nicht gleichberechtigte Partnerinnen. Gesetze lassen sich im Vergleich zu über Generationen eingeübten Rollenverhalten einfach ändern, aber ihre Umsetzung ist schwer.

In kleinen Schritten hat sich seit dem für Frauen vieles Gebessert.
- Über 50% aller Schulabgänger mit Abitur sind weiblich.
- Für junge Frauen ist es heute selbstverständlich einen Beruf zu erlernen oder zu studieren.
- Frauen in politischen Ämtern sind keine Exoten mehr.

Nun kommt das große ABER

Zwar sind junge Frauen heute ausgesprochen gut Ausgebildet, finden sich aber in den Betrieben und Behörden nicht da wieder wo sie ihrer Qualifikation nach hin gehören. Verdienen Frauen in der Ausbildung und als Berufsanfängerinnen mit gleicher Qualifikation noch das gleiche wie ihre männlichen Kollegen geht die Schere innerhalb der ersten Jahre im Berufsleben sehr rasch auseinander. Im denken der fast ausschließlich männlichen Vorgesetzten und Personalchefs wird die Frau oft immer noch als Dazuverdienerin gesehen. Eine Investition in ihre Weiterqualifizierung scheint nicht lohnend, weil davon ausgegangen wird, das Frauen sowieso heiraten und Kinder bekommen werden. Hat eine Frau nach der Geburt eines Kindes eine Erziehungszeit von 3 Jahren genommen, gilt sie in vielen Betrieben als nicht mehr qualifiziert. Kehrt sie dann an ihren Arbeitsplatz zurück hat diese Tatsache ebenfalls finanzielle Auswirkungen. Nicht zu vergessen ist dabei allerdings, dass die typischen Frauenberufe grundsätzlich schlecht bezahlt sind.

Ein paar nüchterne Zahlen hierzu:
- 63,5% der geringfügig Beschäftigten sind Frauen
- Frauen verdienen immer noch im Schnitt 23% weniger als ihre männlichen Kollegen
- Ca. 70% der Unbezahlen Arbeit (Erziehung, Pflege) leisten Frauen
- 71% der Arbeitnehmer in leitender Funktion sind Männer

Heute ist es schwierig, die immer noch erfolgende Diskriminierung und Ungleichbehandlung zu erkennen - geschweige denn diese nachzuweisen.
Ein Beispiel: Ein Mann bewirbt sich auf eine Stelle in einem Unternehmen. Er ist verheiratet und hat zwei kleine Kinder. Dieser Mann ist verantwortungsbewusst, verlässlich und firmentreu. Er lebt in geordneten Verhältnissen. Alles spricht für seine Einstellung.
Eine Frau verheiratet mit zwei kleinen Kindern bewirbt sich ebenfalls. Was denkt der Personalchef wohl über sie? Wahrscheinlich denkt er: Diese Frau macht den Haushalt, muss die Kinder vom Kindergarten abholen und zur Schule bringen. Sie wird zuhause bleiben, wenn sie krank sind. Sie ist ständig gestresst, kann keine Überstunden machen, fällt öfter aus und mobil und flexibel ist sie auch nicht. Für Führungsaufgaben fällt sie aus.
Wenn wird er wohl einstellen?

In der Politik sieht es nicht besser aus.
Ja, wir haben eine Kanzlerin, was aber nicht bedeutet das Frauen in der Politik gänzlich angekommen wären. Es ist schön dass der Frauenanteil im Bundestag und den Landesparlamenten zugenommen hat. Trotzdem sind nur rund 30% der Abgeordneten im weiblich. In vielen Kommunen ist das Verhältnis Männer zu Frauen noch schlechter. Dies gilt vor allem für ländliche Regionen.

Wir Frauen der IGM stellen uns diesen Herausforderungen. Viele Forderungen sind bis heute unerfüllt geblieben. Es ist endlich an der Zeit, ihnen zu neuer Aufmerksamkeit zu verhelfen. Die zentralen Forderungen lauten:

- die Gleichbehandlung aller Arbeitsverhältnisse und deren Einbezug in die
Sozialversicherung;
- die Einführung existenzsichernder gesetzlicher Mindestlöhne;
- eine gesetzliche Quotierung für Aufsichtsräte von 40%;
- das Recht auf einen Kindergartenplatz ab dem ersten Lebensjahr;
- gesetzliche Regelungen für die Gleichstellung von Frauen und Männern in
der Privatwirtschaft.

Gleichstellungspolitik ist kein Schönwetterprogramm. Darum gilt vor allem jetzt:
Kurs halten! Gleichstellung.

Ortsfrauenausschuss RT,TÜ - Bosch-Frauen, Reutlingen

Letzte Änderung: 26.03.2010