Können Staaten pleite gehen?

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20.04.2010 STAATSSCHULDEN: Schmerzlos geht es nicht

Können Staaten pleite gehen? Die Verschuldung der Industrieländer, die nächstes Jahr erstmals höher als ihre Wirtschaftsleistung sein wird, hat diese Frage aus der akademischen Erörterung auf den schweren Boden wirtschaftlicher Wirklichkeit geholt. Tatsächlich kennt die Geschichte Beispiele von Staatsbankrott. Einer der bedeutenderen liegt knapp zehn Jahre zurück und ist bis heute noch nicht ausgestanden. Eben erst bot die argentinische Regierung ihren Gläubigern - darunter auch viele deutsche Privatanleger - an, zwei Drittel der Kredite zurückzuzahlen, die zu bedienen sie 2001 eingestellt hatte.

Die Griechen-Krise wird nicht in den Konkurs münden. Dafür hat das Euro-Land zu viele währungspolitische Verbündete und ist überdies zu klein, um fallengelassen zu werden. Ungleich schwieriger wird, den historischen Schuldenberg in der ökonomischen Großliga so abzutragen, dass sich die Nebenwirkungen in Grenzen halten. So viel sollte jedem klar sein: Ohne Wohlstandsverlust wird das nicht gehen.

Es gibt nur einen einzigen sozialverträglichen Ausstieg aus dem Schuldenturm: Wirtschaftswachstum. Darin ist sich die Fachwelt einig. Sehr weit gehen die Rezepte allerdings auseinander, wie dies zu erreichen ist. Ganz zu schweigen von den Pegelausschlägen der politischen und professionellen Alarmmelder - sie pendeln zwischen erlösender Zuversicht und hoffnungsloser Düsternis. Begründen lässt sich vieles, beweisen nichts.

Die Schuldenkrise ist unvermeidbare Folge der Finanzkrise; die staatlichen Konjunkturhilfen haben weit Schlimmeres verhindert. Selbstverständlich war dies nicht. Offensichtlich wächst mit der Größe der Aufgabe auch die Einigkeit bei ihrer Bewältigung. Das lässt hoffen. Dabei droht langfristig ein mächtiger Defizitverstärker: die alternde Bevölkerung. Sie verringert die Zahl der Erwerbstätigen und damit der Steuer- und Beitragszahler. Und sie erhöht gleichzeitig die sozialen Lasten.

Die Insolvenz eines Landes ist wie bei einem Unternehmen der letzte Ausweg. Anders als bei Firmen gibt es aber für Staatspleiten kein Regelwerk. Vergleichbares will die EU auf den Weg bringen. Gelingen kann dies nur, wo eine übergeordnete Institution mit allen Vollmachten zum Eingriff in nationale Politik berechtigt ist. Das sagt über die Erfolgsaussichten alles.

Eine größere Pleite wird zu verhindern versucht, weil ihre Auswirkung auf Kapitalmärkte und Volkswirtschaften schlichtweg unkalkulierbar, tendenziell aber katastrophal wäre. Deshalb gilt alle Aufmerksamkeit den beiden anderen Schuldentilgern: Inflation und Sparen. Es spricht einiges dafür, dass mittelfristig eine - hoffentlich milde - Mischung aus beidem kommen wird.

Aktuell ist die Zeit dafür noch nicht reif. Würden jetzt Staatsausgaben reduziert und Zinsen erhöht, drohte der Rückfall in die Rezession. An dieser Stelle entzündet sich wieder der alte Ökonomen-Streit, was wirtschaftlichem Wachstum dient und was es bremst. Ohne ehrliche Auseinandersetzung mit dieser Frage wird die Schuldenkrise aber zur andauernden Staatskrise.

So wie die Welt aus der Weltwirtschaftskrise richtige Lehren gezogen hat, wird die Politik den anderen kapitalen Fehler der Vergangenheit vermeiden müssen: Inflation. Sie könnte zwar in unheilvoller Allianz mit den Zentralbanken Geld drucken und sich ihrer Schuldenprobleme bequem entledigen. Doch die Folgen hätte vor allem das einfache Volk zu tragen.

Deshalb ist die harte Therapie auch nicht unsozialer: Sparen. Es kann keine Entschuldung ohne Schmerzen geben. Wer anderes verspricht, ist ahnungslos oder ein politischer Rattenfänger. Auch das zeigt die Geschichte. Der Nachweis steht noch aus, ob die Staaten hier richtige Lehren ziehen. Zweifel sind erlaubt. HELMUT SCHNEIDER

südwest presse,20.04.2010

Letzte Änderung: 20.04.2010