Mehr Lockerheit, bitte

06.11.2006 Frauen tragen das Kopftuch, aber vor allem Männer streiten erbittert darüber.

Keine trug es so wie sie. Als Grace Kelly mit Gary Grant im Cabrio zu den Dächern von Nizza hinabsauste, schützte ein elegantes Seidentuch ihr blondes Haar lässig vor dem Fahrwind.
Auch nicht schlecht: Audrey Hepburn, die es immer schaffte, das Stückchen Stoff wie eine Krone zu tragen.
Und erst Jonny Deep, der als leicht tuntiger Käptn Sparrow seine kohlenumrandeten Augen unter einem flotten Piratentuch rollte.
Herrliche Zeiten, als man noch unbeschwert über Kopfbedeckung urteilen konnte, ohne dass am nächsten Tag Morddrohungen ins Haus geflattert wären.
Man konnte für sie schwärmen, weil sie so mondän wirkte. Man konnte sie verachten, weil sie mit Kittelschürze kombiniert zum Putzen getragen wurde.
Man konnte sie belächeln, wenn man alte Trachten betrachtete, in denen das Kopftuch noch den Familienstand der Frau signalisierte: noch zu haben oder nicht.
Heute ist Schluss damit. Heute sind Kopftücher der Stoff, aus dem hitzige und grundsätzliche Debatten sind. Und gelacht werden darf schon lange nicht mehr. Auch nicht, wenn etwa der Otto-Versand mitmischt mit seinem flotten Kopftuch "Kidoki" oder ein Outdoorversand mit seinen bunten Banderas. Denn es geht um kulturelle Identität, Religion und Unterdrückung. Eine todernste Sache also?
Völliger Unsinn. Das Kopftuch wird viel zu wichtig genommen. Ein unscheinbares Kleidungsstück macht politisch Karriere. und keiner nimmt den Dampf aus der Debatte. Ein kleiner Vorschlag zur Güte.
Es würde helfen, wenn sich die Männer mehr um ihren eigenen Kopf kümmern würden. Wenn sie endlich die Klappe hielten und es den Frauen überließen, was sie anziehen wollen.
Wenn sie die Frauen weder unter dieses Stück Stoff zwingen noch es ihnen verbieten wollten. Wenn sich die Männer nicht so heftig in die Schlacht werfen würden, als ginge es um Kopf und Kragen.
Die Grünen-Abgeordnete Ekin Deligöz hat nach ihrem Aufruf an türkische Frauen, das Kopftuch abzulegen, viele Hassmails und Drohbriefe bis hin zu Morddrohungen zugeschickt bekommen. Die meisten waren von Männern.
Die 92-jährige Muazzez Ilmiye Cig wurde diese Tage in Istanbul von einem Mann vor Gericht gezerrt. Die Forschungen der türkischen Historikerin hatten ergeben, dass das Kopftuch seinen Ursprung in der 5000 Jahre alten sumerischen Kleidervorschrift für Prostituierte hat. Ein Anwalt aus Izmir fühlte sich deshalb in seinem religiösen Empfinden beleidigt.
Herrje. Man muss sich auch mal raushalten können. Die Frauen wissen schon, was sie tun. Mehr Lockerheit, Bitte.
Dann können Frauen mit Kopftuch mit kleinen Jungs Fußball spielen, wie jüngst in einem Stuttgarter Kindergarten beobachtet.
Oder Frauen auch oben ohne zu ihrer religiösen Überzeugung stehen.
Und die Männer können sich darauf konzentrieren, herauszufinden, ob ihr Schnurrbart nur sexy ist oder vielleicht doch an irgendeiner Stelle im Koran verordnet wird.
Sonntag Aktuell, 05.11.2006

Letzte Änderung: 21.11.2007