Unbemannte Schulen

09.10.2007 Jungs fallen im Wettbewerb mit Mädchen immer weiter zurück

Jungs sind doof, meinen kleine Mädchen häufig. Doch damit nicht genug - nun scheint es, als seien die Jungen zusätzlich sogar noch dumm. Treten sie in unmittelbare schulische Konkurrenz mit ihren Klassenkameradinnen, zeigen sie immer größere Defizite:
"Sieht man sich den Schulerfolg an, sind Jungen heute schon das schwache Geschlecht", stellt die Berliner Bildungsforscherin Maureen Maisha Eggers fest. Über 56% aller Abiturienten waren in diesem Jahr Mädchen, dem gegenüber stehen 58% männliche Hauptschüler - Tendenz steigend.
Dabei bringen Mädchen und Jungen bei der Einschulung gleiches Grundwissen und gleiches Leistungspotential mit. "Vor lauter Mädchenförderung haben wir in der Pädagogik die Bedürfnisse und die Eigenheiten der Jungen nicht beachtet, wir haben die Jungs schlichtweg vergessen", sagt Klaus Hurrelmann, Professor für Sozial- und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld.
Da Jungen ein anderes Selbstwertgefühl als Mädchen haben, so Hurrelmann, "kommen sie mit Misserfolgen und Frustrationen, denen sie derzeit allenthalben im Schulalltag begegnen, nicht klar." Sie ziehen sich schmollend zurück und haben keinen Bock mehr auf Schule. Jungs überschätzen ihr Können meistens und glaubten schon qua ihrer männlichen Geburt, erfolgreich zu sein, "während Mädchen eher an sich zweifeln und sich unterschätzen".
Während die meisten Mädchen im Unterricht aktiv mitmachen, kommt ihren Klassenkameraden männliches Regelverhalten in die Quere: "Statt ans Einmaleins oder Bruchrechnen, denken sie an die nächste Schulhofrangelei", sagt die Tübinger Hochschulpädagogin und psychologische Psychotherapeutin Emilie Sacher. Wer mit Konflikten beschäftigt sei, bekomme vom Schulstoff wenig mit, und "Jungen haben wesentlich mehr Probleme beim Einhalten von Regeln." Lernen aber könne nur, wer Regeln einhalte, gute Noten bekomme nur, wer regelmäßig seine Arbeitsauträge erledigt.
Mathe oder Vokabeln pauken? Da setzt sich der männliche Nachwuchs nach Schulschluss lieber vor den Fernsehen oder den Computer. In diesem einseitigen Freizeitverhalten liegt ein weiterer Grund für ihren Leistungsabfall. Starke emotionale Reize, wie die Ballerei am PC, verdrängen schwächere Reize im Gehirn - und so speichert sich Gelerntes nicht im Langzeitgedächtnis ab. Derweil lesen Mädchen ein Buch, was die Fantasie beflügelt, während Fernsehen eher blockiert, oder sie gehen mit Freundinnen in die Stadt und fördern dabei soziales und kommunikatives Verhalten.
Experten sagen auch, dass Jungs nicht so kommunikativ wie Mädchen sind - sie sprechen weniger und drücken sich langsamer aus.
"Mädchen entwickeln Ideen und Lösungen, während sie reden. Jungen melden sich erst zu Wort, wenn sie die Lösung exakt benennen können", so Sacher. Je mehr Mädchen in einer Klasse sind, desto seltener kommen die Jungen folglich zu Wort.
Die Gleichberechtigung habe sich endlich durchgesetzt, meint Schwester Iris Rederer, Schulleiterin am katholischen Mädchengymnasium St. Agnes in Stuttgart. Mädchen brächten neben einer höheren Sprachkompetenz auch außergewöhnliches Durchhaltevermögen und Ehrgeiz mit: "Die Schülerinnen haben in klassischen Jungendomänen wie Informatik und den Naturwissenschaften stark aufgeholt", sagt die Oberstudiendirektorin. Und weiter: "Wir müssen künftig eine gute Jungensozialarbeit aufbauen und speziell auf Jungen ausgerichtete Sprach- und Schulkonzepte entwickeln - damit diese nicht ins Hintertreffen geraten."
Pädagogik liegt in Deutschland fest in weiblicher Hand: 95 Prozent aller Erzieher sind Frauen; lediglich ein Viertel der Grundschullehrer sind männliche Lehrkräfte. Auch in den Familien dominieren die Frauen mittlerweile bei der Erziehung: Jede dritte Ehe wird geschieden, Väter sind nicht mehr in den Familien präsent oder werden nicht mehr wahrgenommen, selbst wenn sie zu Hause leben.
"Die Väter existieren zwar, die Jungen können sie aber nicht fassen - sie erleben den Vater dabei nicht mehr als verantwortlich, sondern eher schwach, ein intensiver Kontakt fehlt", sagt Hurrelmann. Und der Professor fordert: "Neue Männer braucht das Land - den Jungen fehlt der männliche Impuls, eine Identifikationsfigur, die zwingend für eine ausgewogene und intakte Entwicklung ist." Auch die bestausgebildete Lehrerin geht nämlich nicht als männliches Rollenvorbild durch.
Als Pendant zum Girls Day wurde nun in viele Städten und Gemeinden ein Boys Day installiert. Warum sich so wenige Männer zum Erzieher oder Grundschullehrer ausbilden lassen? In technischen Berufen erwarte sich der Absolvent größere Karrierechancen, auch ein höheres Salär (Gehalt, Lohn), spekuliert Hurrelmann.
Doch insgeheim glaubt der Professor an ein ganz anderes Motiv für die einseitige, männliche Berufswahl. Es läge nämlich an der hohen Anzahl von Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen, meint Hurrelmann: "Anlass genug für Abiturienten, diese Berufe zu meiden - denn wenn Frauen gehäuft auftreten, ziehen sich Männer automatisch zurück." Michaele Heske
Sonntag Aktuell, 07.10.07

Letzte Änderung: 21.11.2007