Gerichtsverhandlung wegen 2,80 Euro

08.11.2007 Der Betrag ist klein, die Aufregung groß: Wegen 2,80 Euro zog die Verlagsauslieferung Koch, Neff & Oetinger gegen einen Mitarbeiter vor Gericht.

Der Beschuldigte kann nun jedoch aufatmen: Gestern haben sich die Beteiligten auf einen Vergleich geeinigt.

"Lass für mich einen Fluchtweg offen, stellt die Stühle nicht so eng zusammen. Ich weiß nicht, ob ich das bis zum Schluss aushalte." Die Frau, die das sagt, sitzt mit verschränkten Armen und entschlossenem Gesicht im rappelvollen Verhandlungssaal des Landesarbeitsgerichts. Aus Solidarität mit ihrem Bekannten Gerhard Schönfeld, 50, ist sie gekommen. "Diese Beschuldigungen sind das Lächerlichste, was ich in meinem ganzen Leben gehört habe", sagt sie und schüttelt den Kopf.

Und tatsächlich: der Vorfall, der verhandelt werden soll, klingt skurril. Weil Schönfeld im Juli 2006 die Verdi-Sekretärin Ursula Schorlepp in die Betriebskantine seines Arbeitgebers - der Firma Koch, Neff & Oetinger - eingeladen hatte, landete er vor Gericht. Das Problem: seine Kantinen-Guthabenkarte war anstatt mit dem höheren Preis für externe Gäste mit dem von der Firma subventionieren Mitarbeiterpreis belastet worden - angeblich, weil er nicht deutlich genug gemacht hatte, dass seine Begleiterin ein Gast war. Schönfeld betont aber, er habe unter Zeugen erklärt, wer seine Begleiterin sei. Der Arbeitgeber vermutete Betrugsabsichten und ging vor Gericht. In der ersten Instanz konnte der Richter keine Betrugsabsichten feststellen. Die Gegnerseite zog daraufhin vor das Landesarbeitsgericht in Stuttgart.

Die Beweiskraft eines T`Shirts

Auch dort stellen die Firmenanwälte interessante Thesen auf: Die Kassiererin habe nicht erkennen können, dass sie in Ursula Schorlepp eine externe Person vor sich gehabt habe. "Weil die Besucherin klein ist, konnte die Kassiererin ihren Besucherausweis am T-Shirt nicht sehen", mutmaßte die Klägerseite. Mit ihren 1,68 Meter ist Schorlepp aber keinesfalls winzig. Unter der Zuhörerschaft führen die Aussagen der Klägerseite zu empörtem Kopfschütteln und zunehmendem Räusperzwang. "Absurd, beim letzten Mal haben die Firmenanwälte darüber debattiert, ob das T-Shirt von Frau Schorlepp an besagtem Tag bis zum Bauch oder bis zur Hüfte reichte", flüsterte eine Zuhörerin.

Damit habe die Gegenseite beweisen wollen, dass sich das Besucherschildchen hätte verdrehen können, so dass es deshalb für die Kassiererin nicht zu erkennen gewesen sei, wen sie da vor sich habe. Dass die Kassiererin einen Fehler gemacht haben könnte - darüber wird nur am Rande spekuliert. "Es gibt ganz strikte Anweisungen, wie mit Gästen zu verfahren ist. Dann ist nur Barzahlung erlaubt", wiegelte eine der Anwältinnen der Firma ab. Das sei auch in einer für alle einsehbaren Verordnung festgehalten. "Ist es nicht", kontert daraufhin die Gegenseite.

Eine Quittung, die zufällig entdeckt worden sein soll, habe überhaupt erst dazu geführt, dass die Personalabteilung Schönfeld identifizieren konnte. Auf diesem Weg sei aufgedeckt worden, dass der Mitarbeiter den erforderlichen Zuschlag von 100 Prozent für seine Begleiterin nicht bezahlt hatte. Das Vertrauen in den Mitarbeiter sei deshalb nachhaltig gestört. Weil Schönfeld außerdem am selben Tag seine Pause überschritten haben soll, hat er außerdem eine Abmahnung bekommen. Damit nicht genug: dem Betriebsratsmitglied flatterte eine Änderungskündigung auf den Tisch. "Begründet wurde das damit, dass man Ressourcen sparen wolle", sagte ein Mitglied der Solidaritätsgruppe "Gemeinsam mit Euch bei Koch, Neff und Oetinger", die sich um Schönfeld gebildet hat.

Vom Kundenbetreuer wurde Schönfeld zwischenzeitlich zum Sachbearbeiter degradiert. Eine Sprecherin des Solidaritätskreises ist davon überzeugt, dass man Schönfeld als unbequemes Betriebsratsmitglied loswerden wollte. Den Vorfall müsse man im Zusammenhang mit dem vollzogenen Ausstieg des Arbeitgebers aus der Tarifbindung ansehen. "Seither gibt es heftige Auseinandersetzungen in der Firma um verlängerte Arbeitszeiten und einen niedrigeren Lohn." Das Betriebsratsmitglied habe sich immer für die Belegschaft eingesetzt. "Und jetzt möchte
man ihm das Leben so schwer wie möglich machen", sagte die Sprecherin.

Einen Vergleich geschlossen

Der Betriebsrat ist nun für Schönfeld aktiv geworden und hat gegen die Änderungskündigung geklagt. Gestern wurden beide Verfahren mittels eines Vergleichs als erledigt erklärt. Der Firma wurde bis zum 9. November ein Widerrufsrecht eingeräumt.

Schönfeld freute sich über den gestrigen Erfolg bei Gericht: Sein Arbeitgeber wurde aufgefordert, nach einer seinen Fähigkeiten entsprechenden Stelle zu suchen, die Abmahnung aus der Personalakte zu streichen und das Gehalt dem vor der Kündigung anzugleichen. "Ich bin sehr erleichtert", sagte er. Auch wenn er dafür die außergerichtlichen Kosten aus erster Instanz selbst tragen muss.

Stuttgarter Zeitung vom 30.11.2007
von Christine Pander

Letzte Änderung: 21.11.2007