10x mehr Geld für Waffen als für Armut

Vorschaubild

10.06.2008 Stockholmer Friedensforscher kritisieren den Anstieg der weltweiten Militärausgaben

Die Rüstungsspirale dreht sich weiter. Die Experten des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri fordern die Militärmächte zu mehr Kontrolle auf.
Die weltweiten Militärausgaben sind im Vorjahr auf ein neues Rekordniveau gestiegen, die größten Waffenkonzerne stockten ihre Umsätze gewaltig, und der Handel mit Kriegsmaterial bleibt ein lukratives Geschäft. Das Militär verschlingt 2,5 Prozent des globalen Sozialprodukts; erstmals lagen 2007 die Pro-Kopf-Ausgaben der Weltbevölkerung für Rüstungsgüter über 200 Dollar. Dieses Bild zeichnet das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri in seinem neuen Jahrbuch. Damit bestätigt die Anstalt, die über die führende Rüstungsdatenbank verfügt, den Trend, den zuletzt auch andere Forschungsinstitutionen aufgezeigt haben.

Sipri beziffert den Rüstungsaufwand auf 1339 Milliarden Dollar (858 Milliarden Euro). Das ist eine - um Inflation und Währungskursschwankungen bereinigte - Steigerung um sechs Prozent gegenüber 2006 und um 45 Prozent in der Periode seit 1998, als man noch an eine "Friedensdividende " nach dem Ende des Kalten Krieges glaubte. Jeden Menschen auf der Erde kostet die Rüstung 202 Dollar pro Jahr. Zum Vergleich: Für die Verwirklichung des UN-Millenniums-Ziels zur Halbierung der Armut, wären jährlich 20 Dollar pro Mensch nötig.

Mit einem Anteil von 45 Prozent stehen die USA für fast die Hälfte der globalen Militärausgaben, gefolgt von Großbritannien und China mit je fünf Prozent. Deutschland (23,7 Milliarden Euro, drei Prozent) liegt auf Platz sechs. Die US-Kriegseinsätze in Irak und Afghanistan heizen seit Jahren das Rüstungsgeschäft an. 2007 lagen die Ausgaben des Pentagon höher als je zuvor. Dennoch brauchte Washington in früheren Hochrüstungsperioden im Vergleich zur Wirtschaftskraft mehr für das Militär als jetzt. Ähnliches gilt für China: Peking hat die Militärausgaben in der vergangenen Dekade verdreifacht. Deren Anteil am Sozialprodukt macht sich aber aufgrund des raschen Wirtschaftswachstums mit 2,1 Prozent vergleichsweise bescheiden aus.

Besonders rasch wachsen die Rüstungsetats in Osteuropa, mit einer Steigerung um 167 Prozent in den vergangenen zehn Jahren. Vor allem in den Unruheregionen im Südkaukasus wird, gespeist durch steigende Öleinnahmen, kräftig aufgerüstet. Russlands Militärbudget nahm 2007 um 13 Prozent zu. Das "wieder erworbene Selbstvertrauen " gebe Moskau eine stärkere Stellung auf der internationalen Bühne. Russland benütze seine Bodenschätze als politische Waffe und spiele europäische Partner gegeneinander aus.

Eine Wiederaufnahme der Rüstungskontrolle sei überfällig, betont Sipri-Direktor Bates Gill. Er sieht durch den Antritt einer neuen politischen Führungsschicht in den stärksten Militärmächten "neue Chancen und Hoffnungen ". Zwingend nötig sei mehr Kontrolle auch im Hinblick auf das Atomwaffenarsenal: Es gibt 10 200 einsatzbereite Sprengköpfe - und große Lücken in den Vereinbarungen über die Nicht-Verbreitung von nuklearem Material.

SÜDWEST PRESSE,10.06.2008

Letzte Änderung: 10.06.2008