Mit dem Rücken zur Wand

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23.06.2009 Beim Gabelstapler-Hersteller Still-Wagner fallen 260 Arbeitsplätze weg

Seit Februar arbeitet Still-Wagner in Mittelstadt kurz. Gestern wurde die Belegschaft in einer Betriebsversammlung darüber informiert, dass die Kion-Gruppe 260 von 460 Mitarbeitern in einer Servicegesellschaft "parken" will.

Mit 260 Kreuzen und einem Anklang an die Heimattage demonstrierte gestern Abend die Belegschaft von Still-Wagner für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze.

Mittelstadt. Die Wirtschaftskrise ist beim Gabelstapler-Hersteller Still-Wagner angekommen, der 2008 noch mit 110 Millionen Euro Umsatz und 6586 produzierten Geräten "ein Rekordjahr" vorlegte. Man hätte am Standort Mittelstadt mit der Belegschaft auch 10 000 Einheiten hinbekommen - eine Perspektive, die man durchaus schon im Blick hatte. Jetzt ist Betriebsratsvorsitzender Harald Mischke froh, wenn man in diesem Jahr noch 3500 "Geräte", wie er sagt, "hinkriegt".

Wie Still-Wagner leidet der ganze Konzern unter der Wirtschaftskrise. Und nicht nur in der Reutlinger Bezirksgemeinde werden Stapler produziert. 200 Millionen Euro dürfte Kion heuer an Verlusten einfahren, schätzt der Erste IG-Metall-Bevollmächtigte Gert Bauer und rechnet noch 200 Millionen Euro Zinsen drauf. Um rund vier Milliarden habe Linde das Stapler-Geschäft an die beiden Finanzdienstleister KKR und Goldmann Sachs verkauft. Europas größter Gabelstapler-Hersteller heißt seitdem Kion. Doch wenn die Wirtschaft einbreche, sei dieses Geschäft schwer zu finanzieren.

Dabei könnte man von dem "kerngesunden Unternehmen bestens leben", war doch bis Ende 2008 Still-Wagner "das einzige Werk der Gruppe, das mit Neugeräten Profit machte". Jetzt soll es zerschlagen werden, "restrukturiert" sagen die Kion-Chefs. In einer "Service-Gesellschaft" sollen konzernweit 1700 Mitarbeiter 24 Monate bei 100 Prozent Kurzarbeit "geparkt" werden, darunter 260 aus Mittelstadt. Dass sie von Kion jemals wieder beschäftigt werden können, verweist IG Metall-Sekretär Michael Bidmon ins Reich der Phantasie. Tatsächlich werde das von Kion keiner zugeben, weil die Arbeitsagentur Kurzarbeit in diesem Fall wohl nicht finanzieren werde.

Die Produktion des Typs "FM-Stapler" will Kion nach Hamburg verlegen, wo doch in Reutlingen "mit hoher Schlagzahl" gearbeitet und auch "Geld verdient" werde. Mischke: "Das ist der Anfang vom Ende." Nur noch die Großgeräte sollen bleiben, der "MXX" und der "EK". "Doch wenn der "FM" weg ist, rechnet sich die Produktion hier nicht mehr."

Vorgesehen sei außerdem, einen Teil der Immobilien zu veräußern und in den anderen sechs Millionen Euro zu investieren, was die Konzernleitung, so Mischke "als letzte Rettung für Mittelstadt" verkaufe. Aber diese Rechnung könne nicht aufgehen. Man wolle deshalb für den Standort kämpfen.

Zwei vom Betriebsrat beauftragte Unternehmensberater arbeiten in aller Eile ein Alternativkonzept aus, das Banken und Finanzinvestoren gleichermaßen überzeugen soll. Tatsächlich beschäftige sich der Konzern seit neun Monaten mit den Verlagerungs-Plänen. Der Betriebsrat aber wisse erst seit Fronleichnam davon. Bis Ende Juli sei aber mit der Entscheidung zu rechnen.

Auch die Politik solle sich für das Unternehmen einsetzen, forderte der Erste IG-Metall-Bevollmächtigte. Landrat Thomas Reumann und OB Barbara Bosch führten gestern Abend schon Gespräche mit der Geschäftsleitung, hieß es. Man hofft darauf, dass sich Ministerpräsident Günther Oettinger einschaltet. - Seit 15 Jahren, so Mischke, habe man die Zahl der Beschäftigten bei rund 500 halten können. "In besseren Zeiten hatten wir auch schon 1000." Doch der Standort sei immer wieder gerupft worden. 28 Millionen Euro Umsatz habe der Kundendienst gemacht, bis er verlagert wurde.

"Und wir haben mit den Neugeräten verdient. Jetzt nehmen sie uns dieses Filetstück." Mischke spricht "von der härtesten Kiste", mit der man es bei Still-Wagner je zu tun hatte. "Wir stehen mit dem Rücken zur Wand."

Mit dem Rücken zur Wand steht die Belegschaft nicht zum ersten Mal. Schon 1994 wollte der damalige Besitzer Linde 90 Mitarbeiter entlassen. Am Ende mussten 20 gehen. Eng wurde es auch 2005, als man mit einem von der Belegschaft ausgearbeiteten Konzept fast alle Arbeitsplätze rettete und dem Konzern bei 109 Millionen Euro Umsatz jährlich zwölf bis 13 Millionen Euro einsparte. Die Gegenleistung war ein Be schäftigungssicherungstarifvertrag bis Ende 2010 und eine Standortgarantie bis 2015. Doch die Zeiten haben sich geändert. Hatte man 2004 "die Verbesserung der Profitabilität" im Blick, brauche Kion heute ein Banken-Konzept, sagte Bauer und weiter: "Weil die sonst pleite sind."

schw.tagblatt,23.06.2009

Letzte Änderung: 23.06.2009