Rolle rückwärts bei der Rente?

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26.06.2009 IG-Metall-Delegierte wehren sich gegen einen Ausstieg mit 67 Jahren

Reutlingen.Erst forderte die Delegiertenversammlung der IG-Metall, die Rente mit 67 zurückzunehmen, dann fragte sie Politiker, ob sie einen Ausweg aus der Regelung sehen.

Mitten in die Delegiertenversammlung am Mittwoch marschierte eine Abordnung der Mittelstädter Still-Wagner-Belegschaft. Bei dem Gabelstapler-Hersteller sollen 260 Stellen gestrichen werden. Die versammelten Metaller sicherten den Kolleginnen und Kollegen ihre Solidarität zu. Bild: Haas

Angesichts der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sei ein Festhalten an der Rente mit 67 ein "wirtschaftliches, soziales und politisches Harakiri". Das steht in einem Papier der IG-Metall-Delegierten, die sich in der Rommelsbacher Wittumhalle trafen. Sie verabschiedeten am Mittwochabend im Vorfeld einer Podiumsdiskussion eine Resolution mit der Forderung, die Regelung zurückzunehmen. Konsens bei den Teilnehmern auf dem von TAGBLATT-Redakteur Bernd Ulrich Steinhilber moderierten Podium war, dass die Diskussion um das Renteneinstiegsalter und die Sicherung der Renten angesichts der Wirtschaftskrise höchst aktuell ist. Auch der demographische Wandel und der Trend zur Kinderlosigkeit wurden als Fakten nicht in Frage gestellt. An dieser Stelle endeten die Gemeinsamkeiten der Politiker allerdings.

SPD-Bundestagskandidat Sebastian Weigle machte ein "auseinanderfallendes Berufseintrittsalter" als weiteren entscheidenden Faktor aus und sah "gute Gründe dafür, nächstes Jahr die Revisionsklausel ernst zu nehmen". Die Rente mit 67 sei "kein Kernanliegen der SPD in den nächsten Jahren".

Für die Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel von der Linken ist ein Teil der gegenwärtigen politischen Diskussion reine "Manipulation und Propagandaschlacht". Die Aussage des Arbeitgeberpräsidenten, wonach die Überprüfung nur als "Formalie" zu betrachten sei, wäre "Volksverdummung". Ein Antrag auf Rücknahme des Gesetzes würde in der kommenden Woche von der Linken eingebracht.

Systemwechsel oder flexibler Einstieg

FDP-Bundestagskandidat Pascal Kober bewertete die Sache anders: "Die Rente musste reformiert werden." Er befürwortete ein flexibles Modell für den Renteneinstieg, nach dem jeder über 60-Jährige, dessen Rentenanspruch über dem Grundsicherungsniveau liegt, in Ruhestand gehen kann, "wenn er es sich leisten kann".

Grünen-Bundestagskandidatin Beate Müller-Gemmeke, warb für die "Bürgerversicherung auch bei der Rente". Vorbild hierfür sei das Schweizer Modell. "Wir wollen einen Systemwechsel, dann sind auch andere Wege möglich."

Die Rente mit 67 wollte auf dem Podium niemand verteidigen. Wohl aber die eigenen Ansätze. Die gesetzliche Altersgrenze solle grundsätzlich entfallen, die Zuverdienstgrenze ebenso, meinte FDP-Mann Kober, der einer privaten kapitalgedeckten Vorsorge zusätzlich zur umlagenfinanzierten Rente das Wort redete. Dem Weg der "Individualisierung der Risiken" stellte Hänsel den "solidarischen Weg" entgegen, den sie in einer Erwerbstätigen-Versicherung ausmacht.

Zumindest eine Teilrente ab 60 Jahren müsse auf jeden Fall möglich sein, sagte Müller-Gemmeke. Finanziert werden sollte dies ihrer Meinung nach über eine Bürgerversicherung, deren Grundlage das gesamte Einkommen, auch aus Kapitalerträgen, sein müsse.

Weigle outete sich ebenfalls als Freund der Bürgerversicherung. Als Grundlage müsse allerdings das umlagefinanzierte Modell beibehalten werden, das sich als krisensicher und verlässlich erwiesen habe. Auch forderte er eine Stärkung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge. Generell sei die Altersteilzeit eine gute Regelung. Allerdings sehe die Realität leider so aus, dass die Arbeitgeber diese Möglichkeit "ausnutzen".

Der Reutlinger Bosch-Betriebsratsvorsitzende Daniel Müller stellte die Frage nach der Finanzierung privater Altersvorsorge für Arbeitnehmer. "Woher soll das Geld kommen?" Michael Weidner, ebenfalls bei Bosch und Bundestagskandidat für die MLDP, sieht die Folgen der Krise erst noch kommen. "Wir brauchen deshalb die Rente mit 60 für alle." Eine Beibehaltung der Rente mit 67 kritisierten die Delegierten auf der Versammlung scharf, aber auch, dass sich die CDU trotz Einladung nicht an dem Podium beteiligte.

Alles geprüft - alles in Ordnung!

Die weiteren Tagesordnungspunkte wurden knapp behandelt. Wichtig war der Rechenschaftsbericht: "Wir haben alles geprüft, es ist alles in Ordnung. Wir können loslegen", sagte Harry Mischke mit Verweis auf die anstehenden Arbeitskämpfe in der Region. Einer davon wird schon in Mittelstadt bei Still Wagner ausgetragen. Eine größere Delegation der Beschäftigten erinnerte die Versammelten daran, dass ein Teil der Gabelstapler-Fertigung verlagert werden soll und 260 von 460 Arbeitsplätzen wegzufallen drohen.

schw.tagblatt,26.06.2009

Letzte Änderung: 26.06.2009