Rabenmütter gibt es nicht
Es war eine Bemerkung am Rande. Aber sie setzte sich bei mir fest: Den Begriff der "Rabenmutter gibt es nur im Deutschen. Andere Sprachen kennen keinen vergleichbaren Begriff. Das gibt zu denken.
Dass eine "Rabenmutter" etwas schlimmes sein muss, hat sich bei mir tief festgesetzt. Tauchte der Begriff auf, wurde er mit verurteilender Abscheu gesprochen. In der jüngsten Debatte um Krippenplätze für unter
Dreijährige habe ich den Begriff noch nicht gehört. Ausgesprochen wurde er nicht. Wie oft wird er gedacht?
Ich habe auch meine Vorstellungen von einer Frau, die ihren Kindern eine "gute Mutter" sein will. Aber ich habe gelernt: Eine Mutter, die nicht in mein Rollen-Klischee passt, muss überhaupt nicht "Rabenmutter" sein! Und ein Kind,
das in eine Kinderkrippe gegeben wird, muss noch lange kein vernachlässigtes Kind sein.
Wir führen eine typisch deutsche Diskussion. Eng geführt und ach so grundsätzlich. Und wohl auch ziemlich scheinheilig. Einerseits erwartet unsere Gesellschaft, dass junge Frauen (mehr) Kinder bekommen, und anderseits,
lässt sie junge Familien in Sachen Kinder ziemlich allein. Einerseits sollen junge Frauen sich Zeit für Kinder nehmen, anderseits wird Erziehungsarbeit weder ideell noch finanziell angemessen honoriert.
In der gegenwärtigen Diskussion um die Berufstätigkeit von Müttern kleiner Kinder kommen die Väter meist nicht in den Blick. Den Müttern wird zu allem hin ein schlechtes Gewissen gemacht. Und wir, die
Gesellschaft, lehnen uns zurück. Die Schuldigen sind ja gefunden.
Andere Länder haben gute Erfahrungen, wie Mutterrolle und Berufstätigkeit vereinbart werden können. Idealvorstellungen helfen nicht, mit der Heraausforderungen unserer Zeit fertig zu werden. Helfen wir vielmehr jungen
Frauen, ihr Ja zum Kind sagen zu können. Helfen wir ihnen, für ihr Kind und sich die beste Lösung zu finden.
Ich habe nachgeschlagen: "Die Redensart ‚Rabenmutter’ geht auf die unzureichende Beobachtungen zurück, dass junge Rabenvögel oft unbeholfen und als zu früh sich selbst überlassen erscheinen. Dem ist nicht
so."
Ich plädiere dafür, die Redeweise "Rabenmutter" aus dem Wortschatz zu streichen. Das fand ich nämlich auch: "Rabeneltern sorgen fürsorglich für ihre Jungen, bis sie selbständig sind."
Dekan Harald Klingler, ev. Kirchenbezirk Bad Urach
Südwestpresse, 10.03.2007
Letzte Änderung: 21.11.2007