Kinderverwahrlosung greift um sich

02.05.2007 Jugendamt nimmt erneut vier schwer vernachlässigte Kinder in Obhut

In Berlin häufen sich seit Jahren die Fälle von Kinderverwahrlosung. Nun haben zwei besonders krasse Fälle für Aufsehen gesorgt. Betroffen waren davon acht Kinder.
Kurz nacheinander haben zwei Mütter in Berlin für Schlagzeilen gesorgt, weil sie ihre Kinder vernachlässig hatten. Diese Fälle waren selbst für Berliner Verhältnisse äußerst drastisch. Diese Spitze des Eisberges deutet aber zugleich eine Tendenz an, die von der Statistik belegt wird: Die Verwahrlosung in der Haushalten der Stadt nimmt stetig zu. Die Zahl der Fälle stieg von 255 im Jahr 2004 auf 582 im Jahr 2006.
Dabei ist Berlin das einzige Bundesland mit einem eigenen Fachkommissariat für Delikte an Schutzbefohlenen.
"Am Ende unserer Ermittlungen stellen wir meistens fest: Bei der Kindertagesstätte, in der Schule, beim Kinderarzt und Verwandten, fast überall hatte man etwas geahnt oder bemerkt", sagte Gina Graichen, die zuständige Kommissariatleiterin. Doch gemeldet wurden diese Beobachtungen erst, "wenn alles zu spät ist".
In dem jüngsten Fall hatte ein Nachbar letztlich die Polizei alarmiert, nachdem sich eine 40-jährige Mutter mit ihren vier Kindern, darunter ein Baby-Zwillingspaar, von der Umwelt abgekapselt hatte und aus ihre Wohnung schlimme Gerüche und Fliegenschwärme nach außen gedrungen waren. Die Polizisten mussten sich einen Weg von Unrat und Dreck bahnen, um die Kinder heraus zu holen und in der Obhut des Jugendamtes zu übergeben.
Das kümmert sich auch noch um die vier Kinder, die in der Vorwoche in Pankow in ihrer verwahrlosten Wohnung vorgefunden worden waren, nachdem der Älteste, ein Zwölfjähriger, sich beim Jugendamt gemeldet hatte. Die 46-jährige Mutter war Monate zuvor zu ihrem Freund gezogen und hatte nur ein- bis zweimal die Woche nach den Kindern geschaut.
Damit solche Fälle rascher entdeckt werden können, hatte der SPD/PDS - Senat im Februar die Einrichtung eines "Netzwerks Kinderschutz" beschlossen, das dem Austausch zwischen Jugendamt, Ärzten, Schulen und Polizei verbessern soll. Doch das Personal dafür fehlt.
Seit 2006 gibt es aber ein Hinweistelefon für Kindermisshandlung und -Verwahrlosung: "Machen Sie sich bewusst, dass Ihr Anruf oder Ihre Anzeige entscheidend für das Leben eines Kindes sein kann", trommelt Berlin bei den Bürgern.
Südwestpresse, 02.05.07

Letzte Änderung: 21.11.2007