Muntere Schlafmützen

01.07.2007 Manchmal werde ich ganz müde, wenn ich Politikern und Managern zuhöre

Zum Beispiel neulich beim Kirchentag in Köln. In einer Halle war vom demografischen Wandel die Rede. Den habe Deutschland total verschlafen, sagte der Migrationsforscher Klaus Bade. Zum Beispiel hätte man viel früher in Familienpolitik investieren sollen, pflichtete ihm der nordrhein-westfälische Minister für Generationen, Armin Lascher, bei. Auch die Schaffung von Krippenplätzen habe man in Deutschland glatt - verschlafen.
So wanderte ich in brütend heißen Köln von Halle zu Halle, von Podium zu Podium, und fragte mich, selber immer trägeren Schritts: Was tun die eigentlich in den Regierungen und Firmen? Schlafen sie den ganzen Tag?
Die Medienindustrie hat den Web-2.0-Boom verschlafen, sagen Marktforscher.
Deutschland hat den Bildungsboom verschlafen, sagt der Ober-Bildungsforscher Andreas Schleicher im "Manager Magazin".
Und die Integration von Zuwanderer haben wir sowieso verschlafen, sagte Bundespräsident Horst Köhler letzten Sonntag bei Sabine Christiansen.
Kostet ja nix, so ein Satz. Gerade mal ein einzige Schlafmütze ist in letzter Zeit aus dem Verkehr gezogen worden. Weil er die Klimadebatte verschlafen habe, ist der Ober-Autolobbyist Bernd Gottschalk aufgeweckt und aus dem Bett geschubst worden. Aber das ist die große Ausnahme, dass einer tatsächlich zur Verantwortung gezogen wird.
Normalerweise reicht es auf einem Podium oder in einer Talkshow vollkommen aus, zu sagen: "Das haben wir ja glatt verschlafen. SOS, wir müssen jetzt sofort etwas tun." Gerne wird dann noch die Uhr bemüht, gerne ist nicht etwa fünf vor, sondern schon fünf nach zwölf. Das behaupten zum Beispiel die Bevölkerungswissenschaftler: Selbst wenn wir jetzt die jungen Frauen mit Krippenplätzen (deren Finanzierung bis heute unklar ist, SOS hin oder her) und guten Worten zum Kinderkriegen überreden - selbst dann ist es zu spät für unser Rentensystem. Weil wir eben geschlafen haben, so ungefähr um 20 vor zwölf, als Frankreich, Finnland und England umgesteuert haben. Fünf nach zwölf - das finde ich besonders deprimierend.
Das heißt ja soviel wie: Dann können wir uns jetzt genauso gut umdrehen und weiter schlafen. Ist eh zu spät.
Nun könnte man ja einerseits erleichtert sein, dass unsere Politiker und Manager offenbar doch so einen gesunden Schlaf haben. Wir waren schon besorgt, dass die angeblich rund um die Uhr im Einsatz sind, 24/7, wie es im Computerjargon heißt. Zum Beispiel Thomas Middelhoff, Chef vom Karstadt-Quelle. Der rühmt sich, er brauche nicht mal fünf Stunden Schlaf.
Amerikanische Bosse kommen angeblich sogar mit vier Stunden aus. Zu wenig, warnen jetzt immer dringlicher die Wirtschaftsblätter.
Der "Harvard Business Manager" rät ernsthaft zu "Schlaf-Richtlinien fürs Management". Und der Wirtschaftsteil der "Süddeutschen Zeitung" empfiehlt den übermüdeten Topmanagern "Inemuri", jenen japanischen Büroschlaf, den man locker bei einem langweiligen Meeting absolvieren kann.
Einspruch! Wenn wir unser Toppersonal jetzt auch noch tagsüber schlafen lassen, dann verpassen sie bestimmt noch mehr aktuelle Entwicklungen.
Bloß komisch, dass die immer dann hellwach sind, wenn es darum geht, im exakt richtigen Moment ein Aktienpaket abzustoßen oder anzukaufen.
Jetzt aber ganz im ernst: Wenn einer die großen Probleme des Landes verpennt - warum darf der dann einfach weiter machen, als sei nichts passiert?
Wenn ich morgens verschlafe, dann verpasse ich meinen Zug. Dann komme ich zu spät zur Arbeit, verpasse die Morgenkonferenz und das gibt Ärger. "Verschlafen", das können weder ich noch meine Kinder uns mehr als einmal im Quartal erlauben. Kommt nicht gut an als Entschuldigung, weder in Konferenzräumen, noch in Klassenzimmern.
Wählen wir unsere Politiker, vertrauen wir unseren Managern nicht gerade deswegen, weil wir denken, die haben das Ohr an der Zeit? Ja, schauen sogar in die Zukunft, mit besseren Beratern, mehr Hintergrundwissen, genaueren zahlen ausgestattet als unsereiner?
Und dann besitzen die tatsächlich die Frechheit, einfach die Zukunft zu verschlafen?
Zumindest eine bessere Ausrede als "Tschuldigung, verschlafen" kann ich als Steuern zahlende Bürgerin und Verbraucherin schon erwarten. Weil: Schlafen kann ich selber. Ursula Ott.
Sonntag Aktuell, 01.07.07

Letzte Änderung: 21.11.2007