Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt
Jüngst traten in Burg (Sachsen-Anhalt) rechtsradikale Schläger die Wohnungstür einer vietnamesischen Familie ein - weil die Polizei schnell wieder verschwand, kamen sie gleich noch zweimal wieder.
Es begann kurz nach Mitternacht. Ein Teil der vietnamesischen Familie lag im Bett, als Fäuste wild gegen die Wohnungstür trommelten und Hassparolen durch das Treppenhaus dröhnten. Dann traten zwei Jugendliche die Tür
ein und stürmten in die Wohnung. Hier schlugen sie auf den 14-jährigen Sohn ein, der sich ihnen entgegenstellte.
Ein älterer Herr aus der Nachbahrwohnung feuerte sie kräftig an. Die neunjährige Tochter konnte fliehen und klingelte das ganze Haus wach, so dass mehrere Mitbewohner die Polizei riefen.
Die kam, notierte die Namen der Täter, schickte diese in den Hausflur zurück und verschwand. Doch das aggressive Trio stand bald wieder in der Wohnung. Erneut wurde die Polizei gerufen, erneut ging sie nicht ernsthaft gegen die
Täter vor, erneut verschwand sie. Und so standen die Angreifer noch ein drittes Mal in dieser Nacht in der Wohnung. Da hatten sich die Vietnamesen aber selbst geholfen und in ihrem Imbissgeschäft verbarrikadiert. Als sie
zurückkamen, war die Wohnung verwüstet.
Selbst in Burg (Landkreis Jerichower Land) wollte das manch einer nicht glauben. Und vielen fehlten die Worte für das lasche Verhalten der Polizei. Zwar nahm diese zwei Jugendliche fest und Landespolizeipräsident Johann
Lottmann versetzte den zuständigen Dienstgruppenleiter und dessen Stellvertreter. Doch das Bild, dass die Polizei Sachsen-Anhalts in Bezug auf die Verfolgung rechtsmotivierte Straftaten abgibt, lässt sich kaum noch aufhellen.
Es wirkt so irreparabel beschädigt, dass die Grünen des Landes eine Arbeitsgruppe gründeten. Damit wollen sie "die Versäumnisse der Polizei im Kampf gegen den Rechtsextremismus aufarbeiten".
Die Liste diese Versäumnisse wird unüberschaubar. Nur noch die gravierenden Vorfälle, die bundesweit für Aufsehen sorgten, bleiben in Erinnerung.
So überfielen unlängst rechtsradikale Schläger in Halberstadt eine Theatergruppe nach der Premierefeier, weil sich einer von ihnen als Punk kostümiert hatte.
Vor einigen Monaten stellte sich die Polizei in Halle blind und taub, als auf dem Fußballplatz ein schwarzer Spieler aus Leipzig geschlagen wurde. Vielmehr erstatte sie gegen ihn Anzeige, weil er nach 90 Spielminuten, in denen ihn
Hallenser Fans ununterbrochen rassistisch verhöhnten, frustriert den Hitlergruß zeigte.
Ein Migrant aus Togo bekam in Magdeburg durch die Polizei eine Anzeige wegen Körperverletzung. Denn er war dazwischen gegangen, als drei offenbar rechtsgerichtete Jugendliche Autospiegel abtraten. Als das Trio auf in einschlug,
wehrte er sich offenbar unerlaubterweise mit Pfefferspray - und rief die Polizei. Die kam nach Aussage der Mobilen Opferberatung nicht nur sehr spät, sondern unterband nicht sofort, dass die Neonazis den Afrikaner weiter
beschimpften und traten.
Die Opferberatung spricht von einer ganzen Kette rassistischer Angriffe in und um Magdeburg, bei denen Polizeibeamte trotz mehrfacher Notrufe schwarzafrikanischer Betroffener zu spät oder gar nicht gekommen sei.
Offenbar handelt sich nicht um eine Häufung von Zufällen. So prüfte Innenminister Holger Hövelmann (SPD) ein Disziplinarverfahren gegen den Vizechef der Polizeidirektion Dessau, Hans-Christoph Glombitza. Der hatte in
einem Gespräch mit Staatsschützern erklärt, dass man im Kampf gegen rechtsextreme Straftaten "nicht alles sehen muss". Auf den Hinweis auf die Landeskampagne "Hingucken", mit der sich Sachsen-Anhalt gegen den laut
Verfassungsschutz besorgniserregend wachsenden Rechtextremismus wehrt, entgegnete Glombitza:" Das ist doch nur für die Galerie". Und: "Das dürfen sie nicht ernst nehmen".
In der Zelle erstickt
Immerhin war in Dessau 2005 ein 23-jähriger Afrikaner in einer Polizeizelle erstickt. Obwohl er an Händen und Füßen gefesselt war, soll er laut Polizei mit einem Feuerzeug eine Matratze seiner Pritsche entzündet
haben. Seine Angstschreie hörten die Diensthabenden, taten dies aber als Krakeelerei ab. So sitzen nun seit März zwei Polizisten vor Gericht.
"Wir sind hier nicht in einer Bananenrepublik", erboste sich der Vorsitzende Richter, als er feststellte, dass seitens der beteiligten Polizisten vier unterschiedliche Aussagen gemacht wurden und mindestens einer von ihnen gelogen hat.
Lottmann schließt eine rechtsextreme Gesinnung als Ursache für die Polizeipannen aus. Allerdings räumt er ein, dass seine Leute "zu häufig vor der Gewalt der Täter einknicken". Das sei aber "kein strukturelles
Problem" der Polizei, sondern hier werde "handwerklich nicht sauber gearbeitet".
Immerhin gelang es am vergangenen Wochenende 300 Polizisten in Sangerhausen, gut ebenso viele Rechtsradikale in Schach zu halten, die einen ungenehmigten Marsch durch die Stadt planten. Und so ist man zumindest im bürgerlichen Lager
Sachsen-Anhalts sicher, das Land brauche "keine grüne Schnüffeltruppe", wie die CDU die von den Bündnisgrünen gegründete Antifa -Arbeitsgruppe abtut. Auch Vizeregierungssprecher Theo Struhkampf lehnt "grüne
Oberkontrollettis" für die Polizei seines Landes ab.
Dass diese zuweilen auch richtig hart zuschlagen kann, zeigte sich in Stendal. Dort verurteilte das Amtsgericht zwei Streifenbeamte wegen Freiheitsberaubung und Körperverletzung im Amt zu Geldstrafen von 4800 und 3000 Euro. Sie
hatten in mehreren Fällen in "Wildwestmanieren", so die Richterin, wegen Nichtigkeiten etwa einen Taxifahrer sowie einen Mann, der eine Zigarettenschachtel fallen ließ, sofort in Handschellen gelegt und teils gefährlich
gewürgt.
In Burg gab es nach dem Überfall auf die vietnamesische Familie eine Mahnwache aufgebrachter deutscher Mitbürger. Manchem, der her vorbeikam, gefiel das nicht.
"Demonstriert doch lieber gegen die hohen Butterpreise…" rief man ihnen zu.
Südwestpresse,07.08.07
Letzte Änderung: 21.11.2007