Arm trotz Arbeit

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23.11.2007 Die Grünen-Suche nach den Wegen aus der Armutsfalle

Arm trotz Arbeit. Menschen, die davon betroffen sind, wollen die Grünen mit einer Grundsicherung helfen. Arbeiten, ohne vom dadurch erwirtschafteten Einkommen leben zu können, in dieser Situation sind immer mehr Menschen. Sei es, weil der Vollzeitarbeitsplatz fehlt, sei es, weil sie Jahre in der Ein-Euro-Job-Warteschleife des Hartz IV Systems hängen.
Deshalb erhalten Ideen, allen Bürgern von Staats wegen eine Existenz sichernden Lebensgrundlage zu schaffen, Auftrieb.
Die Kritik daran ist so alt wie die Idee eines Grundeinkommens: Der Faule wird belohnt, die Menschen verabschieden sich aus der Leistungsgesellschaft, die Steuereinnahmen sinken, der Staat kann das Grundeinkommen nicht mehr finanzieren, eine Spirale nach unten.
"Das Grundeinkommen, das wir in Baden-Württemberg vorschlagen, ist kein Abschied von der Erwerbsgesellschaft", sagt Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion vor dem Bundesparteitag zu diesem Thema. Denn die Bedürftigkeitsprüfung bleibe im Grundsatz wie beim jetzigen Harzt IV Modell erhalten.
Also: keine "Stilllegungsprämie" (SPD-Generalsekretär Hubertus Heil), kein bedingungsloses Grundeinkommen, "das Modell von Götz Werner lehnen wir ab", aber eine Vereinfachung des bürokratischen Aufwands. Letztlich ist der Vorschlag der Südwest Grünen ein Mischmodell zwischen Grundsicherung und Grundeinkommen.
Schick denkt dabei vor allem an jene 500 000 Menschen in Deutschland, die zwar Geld verdienen, aber nicht genug, um davon leben zu können und deshalb ihr Einkommen mit ALG II aufstocken müssen. Dazu kommen noch einmal zwei Millionen Menschen, denen zwar ein entsprechender Anspruch zusteht, die diesen aber nicht geltend machen.
"Die brauchen keinen Druck, die haben schon Arbeit", sagt Schick. Und bei der Frage, ob er nur noch 100 Euro dazuverdienen soll, winke mancher eben ab, weil ihm 90 davon sofort wieder abgezogen werden.
Genau das soll der Vorschlag der Südwest Grünen helfen: in Sockelgrundeinkommen von 420 Euro für Erwachsene und 300 Euro pro Kind, das vom Finanzamt als so genannte negative Einkommensteuer erstattet würde, also jedem Bürger. Und vor allem: " Für die Aufstocker entfällt die Bedürftigkeitsprüfung." Sie könnten ihren Zuverdienst ungeschmälert in die Tasche stecken, ein zusätzlicher Arbeitsanreiz und eben keine Prämie fürs Nichtstun.
Ein weiteres Argument: Ein Grundeinkommen wird dem Wechsel zwischen Bildung, Arbeit, Erwerbslosigkeit und Familienphase besser gerecht, gibt den Menschen mehr Freiheit als die heutige Grundsicherung. Weil das Grundeinkommen auch Kindern zusteht, verringert es auch Kinderarmut.
Die Frontlinien für die Diskussion auf dem Bundesparteitag der Grünen, der vom 23. bis 25. November in Nürnberg stattfindet, sind derweil unklar. Es gibt einen Antrag des Bundesvorstandes für eine Grundsicherung, jedoch mit einem auf 420 Euro angehobenen Hartz IV Regelsatz. Dieser Vorschlag könnte als Grundlage dienen.
Könnte, denn an der Basis laufen die Debatten ganz anders. Und das Votum, mit dem die Partei ihren Vorstand im September auf dem Sonderparteitag zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr düpiert (täuschen, betrügen, übertölpeln, zum Besten halten) hatte, ist noch in guter Erinnerung. Auch jetzt liegen Anträge vor, von denen keineswegs sicher ist, dass sie zurückgezogen werden.
Der Landesverband Schleswig-Holstein will ein Grundeinkommen, ohne Bedürftigkeitsprüfung, dafür sollen andere Transferleistungen wie das ALG II und das Kindergeld wegfallen.
Die Grünen in Rheinland-Pfalz haben sich für das Grundeinkommen entschieden, jene in Sachsen-Anhalt für die Grundsicherung. Die Jugendorganisation wiederum plädiert für das bedingungslose Grundeinkommen. Wer den Beschlüssen die Stange hält, ist offen.
Auch in Baden-Württemberg rumort es. Fritz Kuhn, Fraktionschef im Bundestag, hatte schon auf dem Landesparteitag im Oktober gegen das Grundeinkommen für jedermann gestimmt.
Anfang November schwenkte Tübingens OB Boris Palmer auf die Linie des Bundesvorstandes ein. "Das Grundeinkommen hat viel Charme und ist attraktiver als der von Bürokratie und Gängelung geprägte Sozialstaat", sagte er, um sofort einzuschränken: Entsprechende Modelle seien zu unkonkret und die gesellschaftliche Debatte noch nicht so weit. Deshalb werde er die Grundsicherung unterstützen.
Schweres Geschütz fährt bereits Oswald Metzger auf. Ober er die Grünen verlasse, hänge entscheidend davon ab, ob die Bundespartei dem Votum der Südwest Grünen folge, sagte der 52-jährige Finanzexperte. Denn dieses Modell lehnt es strikt ab. Sein Mandat im Stuttgarter Landtag will er im Fall seines Austritts niederlegen.
Südwestpresse,21.11.07

Letzte Änderung: 23.11.2007