Ein Besuch bei jeder Familie

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11.12.2007 Wie kann verhindert werden, dass Kinder in ihren Familien über Jahre unter Qualen leben und sterben müssen?

Der Bielefelder Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann schätzt, dass in Deutschland 80 000 Kinder vor Vernachlässigung und Verwahrlosung bedroht seien. Die frühere Bundesfamilienministerin Renate Schmidt forderte eine flächendeckende und niedrigschwellige Prävention. Das "Dormagener Modell" müsse auf die Republik ausgeweitet werden.
Seit 1996 baut die Stadt Dormagen ein sich ständig erweiterndes Frühwarnsystem auf. Kern des Modells ist aufsuchende Elternarbeit mit einem Begrüßungspaket für jedes neugeborene Kind.
Bürgermeister ist Heinz Hilgers (SPD), Präsident des Kinderschutzbundes. Zielgruppe sind alle Familien, die ein Kind bekommen, völlig unahängig von Einkommen, Wohnviertel oder Nationalität. Auch alle Zugezogenen mit Kindern bis 12 Jahren werden von Jugendamtsvertretern besucht und außerdem Familien, die ihre dreijährigen Kinder nicht im Kindergarten anmelden oder deren Kinder bei der Schuleingangsuntersuchung Auffäligkeiten zeigen.
Die Resonanz der Familien sei sehr gut, berichtet Dormagens Präventionsbeauftragter Uwe Sandvoss.
"Über 99 Prozent der bisher etwa 500 besuchten Familien ließen uns herein." Davon hätten 98 Prozent die Besuche durch die Jugendamtsvertreter positiv bewertet, nur zwei Prozent hätten eine neutrale Bewertung abgegeben. Der überwiegende Teil der Eltern benötige keine Unterstützung, bilanziert Sandvoss. Doch konnten bei über 30 Familien weitere Hilfen vermittelt werden.
In dem Begrüßungspaket finden sich neben Gutscheinen für Rauchmelder und Zahnbürste ein Ringordner zum Nachschlagen für die Eltern. Da geht es etwa um Informationen zur Elternzeit oder den Antrag auf Kindergeld. Anlaufstellen für Schuldnerberatung, Berufsberatung, Frauenberatung sind weitere Stichworte. Informationen zu kindlichen Entwicklung, zu Frühförder- und Familienbildungsangeboten sind natürlich auch dabei.
Längst ist Dormagen mit diesem Konzept, für das elf Mitarbeiter des Jugendamtes ein bis zwei Besuche pro Woche machen, nicht mehr allein. Rund 40 Städte in Nordrhein-Westfalen sprechen alle Familien persönlich an. Die Mitarbeiter der Jugendämter stellen sich als Helfer und nicht als "staatliche Kontrolleure" vor.
Südwestpresse, 11.12.07

Letzte Änderung: 11.12.2007