Andrea Ypsilanti gelingt das Unfassbare
Großer Jubel bei der SPD, lange Gesichter bei der CDU: Die sich anbahnende Pattsituation im hessischen Landtag ist für den bisherigen Ministerpräsidenten Roland Koch ein Schlag ins Gesicht. SPD-Spitzenkandidatin Andrea
Ypsilanti verbucht für sich einen klaren Sieg.
Diesen Erfolg hat ihr kaum jemand zugetraut: Weder die Journalisten und nicht einmal die Mehrheit der eigenen Parteibasis. Mit dem Lantagswahlergebnis von gestern ist klar, dass Andrea Ypsilanti die am Boden liegende hessische SPD
aufgerichtet und in einem großartigen Wahlkampf wieder nach vorne gebracht hat. Ypsilanti ist nun endgültig zur Hoffnungsträgerin der Linken in der SPD geworden.
"Ihr habt gekämpft wie die Löwen und wie die Löwinnen", rief die 50-jährige in eine Schar jubelnder Anhänger: " Und ich mit euch."
Früher wurde Ypsilanti wegen ihrer begrenzten Fähigkeiten als Rednerin und ihrer unsicheren Auftritte belächelt. Inzwischen liebt die sozialdemokratische Anhängerschaft sie für ihre einfachen, klaren Aussagen.
Zur "Volksabstimmung für Gerechtigkeit" hatte sie die hessische Landtagswahl deklariert. "Kein Kind wird zuückgelassen" lautete ihr Versprechen für die Bildungspolitik. "Bessere Lebensverhältnisse für alle" ist
eine andere ihrer Botschaften.
Sie bracht die Hessen-SPD auf einen klaren Linkskurs, ein Umstand, den ihr die Wähler hoch anrechneten, während der amtierende Ministerpräsident und CDU- Spitzenmann Roland Koch das belächelt hatte.
Bis gestern Abend, da war dem hessischen Landesvater das Lächeln vergangen. Mit ernstem Gesicht und in ungewohnt zurückhaltender Pose stellte er sich mit seiner betreten wirkenden Ehefrau seinen Anhängern.
Kein Wunder: Dieser Wahlabend markierte die schwerste Niederlage im politischen Leben des Roland Koch. Umfragen hatten schon Tage vor der Wahl massive Verluste seiner Partei vorhergesagt.
Doch das Abschneiden der hessischen CDU ist mehr als ein Rückschlag. Es ist eine Demütigung, selbst wenn es doch noch für eine Regierungsmehrheit mit Unterstützung der FDP am Ende reichen sollte.
Koch ist noch nicht einmal 50 Jahre alt und doch der dienstälterste Ministerpräsident der Union. Seit 1999 regiert er in Wiesbaden.
"Ich kann dieses Land gestalten und zugleich in der nationalen Politik eine starke Chance auf Mitwirkung haben", hatte er stets gesagt.
Koch hat an seinem Image des konservativen Hardliner jahrzehntelang gearbeitet. "Ich glaube, dass ich der Demokratie nütze, indem ich sehr zuspitze", sagte der ehemalige Rechtsanwalt. Dass er wegen dieser Zuspitzung oft angefeindet
wurde, nahm der 49-jährige gelassen - bis gestern Abend.
Immerhin: Der Argumentation einiger Parteikollegen, er sei das Opfer einer Diffamierungskampagne geworden, schloss sich Koch nicht an. Er sprach angesichts der sich abzeichnenden Patt-Situation zwischen CDU und SPD und deren
möglichen Koalitionspartnern von "einem bitteren Rückschlag", für den er mitverantwortlich sei.
Ob er damit einräumen wollte, dass er mit seiner Kampagne gegen jugendliche Straftäter mit Migrationshintergrund zu weit gegangen sei, blieb aber offen.
Trotz aller Bereitschaft, für Fehler geradezustehen, gab sich Koch gestern Abend noch nicht geschlagen. Er klammerte sich an die Hoffnung, doch noch mit der FDP eine Regierungsmehrheit im Wiesbadener Landtag zu erhalten.
Koch riet "bei allem Respekt" auch vor den anderen Parteien, erst das vorläufige amtliche Endergebnis abzuwarten. Man wisse, dass es in Hessen ganz schwierig sei, eine Regierung zu bilden. "Unser Bundesland Hessen ist ein knappes
Land, das haben wir immer gewusst", sagte Koch.
Zu den massiven Verlusten seiner Partei erklärte er: "Natürlich ist das Ergebnis, das wir hier erzielen, in dem Rückgang nicht einfach für uns - auch für mich persönlich." Die Ursachen dafür müssen
jedoch in aller Ruhe analysiert werden.
SÜDWEST PRESSE, 28.01.2008
Letzte Änderung: 29.01.2008