An den Leistungen wird nicht gerüttelt
Nach langem Anlauf startet die Reform der gesetzlichen Unfallversicherung - allerdings nur zum Teil: Die Zahl der Berufsgenossenschaften soll drastisch sinken. An den Leistungen wird dagegen vorerst nicht gerüttelt, was die
Arbeitgeber heftig beklagen, die gern sparen würden.
Nach langen Diskussionen verabschiedet das Bundeskabinett heute den Gesetzesentwurf zur Reform der gesetzlichen Unfallversicherung. Wenn alles glatt geht, soll sie am 1. August in Kraft treten. Die Arbeitnehmer dürften davon
allerdings kaum etwas bemerken. Denn entgegen den ursprünglichen Plänen wird an den Leistungen überhaupt nichts geändert. Die große Koalition konnte sich nur auf eine Organisationsreform einigen.
Ob Unfälle auf der Fahrt zum Arbeitsplatz und bei der Arbeit oder Berufskrankheiten - gegen all diese Risiken müssen sich Arbeitnehmer nicht selbst absichern. Dafür springt die gesetzliche Unfallversicherung ein, und das schon seit dem Jahr 1884. Die Kosten tragen allein die Arbeitgeber; im Gegensatz zur Renten- und Krankenversicherung müssen sich die Arbeitnehmer nicht beteiligen. Die Beiträge schwanken sehr stark je nach dem Gefahrenpotenzial der einzelnen Branche: Im Bergbau sind 8 Prozent der Lohnsumme fällig, in der Bauwirtschaft 3,94 Prozent, im Großhandel dagegen nur 0,82 Prozent.
Die Entwicklung ist positiv: Seit 1991 ist die Zahl der Arbeitsunfälle um 48 Prozent gesunken. 2006 meldeten die gewerbliche Wirtschaft und der öffentliche Dienst 949 000 Arbeitsunfälle sowie 191 000 Wegeunfälle. Tödlich verliefen 1246 Unfälle. Gleichzeitig wurden 14 000 Fälle von Berufskrankheiten anerkannt. Für die Rehabilitation zahlte die Unfallversicherung 2,82 Mrd. EUR, für Renten 5,44 Mrd. EUR.
Den Arbeitgebern sind diese Leistungen viel zu umfangreich. Um Beiträge zu sparen, würden sie am liebsten die Unfälle auf dem Weg zur Arbeit aus dem Leistungskatalog streichen. Doch damit fanden sie bei der Politik kein Gehör. Aber auch auf andere Leistungsveränderungen konnten sich Union und SPD nicht einigen. Daher blieb nur die Organisationsreform übrig.
Dass es viel zu viele Berufsgenossenschaften (BG) als Träger der Unfallversicherung gab, darüber waren sich alle einig. Die Zahl der gewerblichen BG sank seit 2004 von 31 auf 25. Künftig soll es nur noch neun geben. Im Bereich der öffentlichen Hand existierten noch mehr Unfallkassen, nämlich ehemals 54. Durch Zusammenschlüsse sind es derzeit 31. Sie sind auch für die Unfallversicherung der Schüler zuständig. Künftig soll es nur noch einen Träger pro Bundesland geben sowie einen Unfallversicherer des Bundes. Bereits seit dem 1. Juni 2007 arbeitet der Spitzenverband Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung; vorher hatten BG und Unfallkassen eigene Dachverbände.
Die Fusionen sollen nicht nur Verwaltungskosten sparen; das ursprüngliche Einsparziel von 250 Mio. EUR steht allerdings nicht mehr im Gesetz. Reduziert werden sollen auch die großen Unterschiede bei den Beitragssätzen. Zudem muss die Verteilung der Altlasten neu geregelt werden: Es gibt schrumpfende Berufsgruppen wie beispielsweise den Bau, die zusätzlich mit hohen Ausgaben zu kämpfen haben. Das neue Modell kann - zusammen mit dem Zusammenschluss von Berufsgenossenschaften - manchen Betrieben einen deutlich höheren Beitragssatz bescheren.
Zudem befürchten die Unternehmen mehr Bürokratie: Für die Prüfung der Beiträge sind die Rentenversicherer zuständig. Ihnen sollen sie künftig viel mehr Daten liefern.
SÜDWEST PRESSE,13.02.2008
Letzte Änderung: 14.02.2008