Sparbeschluss zulasten der Erkrankten

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22.02.2008 Kinderärzte schlagen Alarm. Heute soll entschieden werden, dass Krankenkassen wichtige Arznei zur Therapie des Diabetes Typ I nicht mehr bezahlen.

Kinderärzte werden einer wirksamen Diabetes-Therapie beraubt

Neue Medikamente dürfen nur teurer sein, wenn sie besser wirken. Dieser Grundsatz steht seit der Gesundheitsreform 2007 im Gesetz. Exekutiert wird er jetzt an Typ-I-Diabetikern. Heute will der gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen beschließen, dass Kassenpatienten, die an Typ-I-Diabetes erkranken, keine kurzwirksamen Analogpräparate mehr bezahlt bekommen. Diese Medikamente liefern das für den Stoffwechsel notwendige Insulin. Der Ausschuss beruft sich auf einen Bericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Es sieht in den Präparaten keinen Zusatznutzen im Vergleich zu Humaninsulin.

Dieser Darstellung widerspricht Prof. Thomas Danne vehement. "Kinderärzte werden mit dem Beschluss einer Therapie beraubt, die einer schweren Erkrankung im Kindesalter sehr wirkungsvoll begegnet. " Niemand käme auf den Gedanken, einem krebskranken Kind ein Medikament vorzuenthalten, mit dem es besser behandelt werden könne, fügt der Chefarzt der Kinderklinik in Hannover nüchtern hinzu. Typ-I-Diabetes im Kindesalter sei von der Schwere der Erkrankung mit Krebs durchaus vergleichbar. Danne verweist auf Erfahrungen, die in seinem Haus, dem größten deutschen Kinder-Diabetes-Zentrum, mit den Präparaten gemacht wurden. Dabei sei belegt, dass sich die Stoffwechseleinstellung bei den Patienten erheblich verbessert habe. "Sie wirken ganz anders als Humaninsulin ", sagt er. Diese Fortschritte würden gefährdet, um 30 Cent bei der Tagestherapie eines Erkrankten zu sparen. Um diesen Betrag ist Humaninsulin preiswerter.

Danne, Vizepräsident der Deutschen Diabetes-Gesellschaft, hält dem IQWiG vor, sein Bericht sei nicht nur wissenschaftlich unzureichend. Es gebe auch einen deutschen Sonderweg vor. In anderen Ländern sei der Vorteil der Arzneien völlig unumstritten. "Da fällt Deutschland selbst hinter Polen zurück. " Außerdem bezweifelt er, dass der Beschluss Einsparungen erzielt. Denn er werde eine Art Bestandschutz für die rund 300 000 betroffenen Patienten vorsehen. Da heißt es sinngemäß: Analogpräparate würden bezahlt, wenn eine Therapie mit Humaninsulin nicht die gleiche Wirkung erreicht. Um dies nachzuweisen, wird Ärzten, Patienten und Eltern viel Bürokratie aufgehalst. Ärzte müssten dies gegenüber dem medizinischen Dienst der Kassen belegen. Eltern der rund 25 000 erkrankten Kinder müssten Therapieprotokolle führen und abgeben.

Dass der Bundesausschuss heute diesen Beschluss fasst, ist wohl nicht zu verhindern. Danne hofft auf das Gesundheitsministerium, das ihm zustimmen muss. Die internationale Diabetes-Föderation hat Kanzlerin Angela Merkel dazu einen Brandbrief geschrieben. Viele Betroffene fragen sich, warum Regierung und Kassen nicht den Mut aufbringen, mit den drei Herstellern der Arznei zu verhandeln, um eine Kostensenkung zu erreichen. In anderen Ländern geht dies auch.
SÜDWEST PRESSE,22.02.2008

Letzte Änderung: 22.02.2008