Schädliche Grabenkämpfe

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23.02.2008 Nutzt eine Kindergelderhöhung um ganze zehn Euro monatlich den Familien überhaupt? Sollte dieses Geld nicht lieber für die Betreuung und Förderung benachteiligter Kinder verwendet werden?

Nutzt eine Kindergelderhöhung um ganze zehn Euro monatlich den Familien überhaupt? Sollte dieses Geld nicht lieber für die Betreuung und Förderung benachteiligter Kinder verwendet werden? Und wie kann es sein, dass wirtschaftlich gut situierte Eltern überhaupt Kindergeld erhalten? Solche Fragen in der Diskussion über die Familienförderung zeigen vor allem eines: Die Debatte verläuft gründlich schief.

Denn es werden Dinge vermischt, die man trennen muss: etwa das Ziel, allen Kindern gute Chancen zu ermöglichen und verfassungsrechtliche Vorgaben. Oder der Wunsch nach mehr öffentlicher Kinderbetreuung und die Frage, ob ein (kleiner) Teil der Eltern staatliches Geld missbraucht.

Beim Kindergeld handelt es sich nicht um eine familienpolitische Förderung - das unterschlagen manche Politiker gern. Die 154 Euro monatlich pro Tochter oder Sohn erhalten Eltern vielmehr, weil laut Bundesverfassungsgericht jedem Menschen, also auch jedem Kind, ein steuerfreies Existenzminimum zusteht. Da aber Normalverdiener dieses nicht ausreichend geltend machen können, erhalten sie als Ersatz Kindergeld. Reiche hingegen, und darin liegt das Ärgernis, bekommen über die Steuerersparnis mehr fürs Kind als die anderen.

Es ist aber nicht möglich, Gutverdienenden das steuerfreie Existenzminimum zu streichen. Denn jeder Bürger, ob arm oder reich, hat Anspruch auf Steuerbefreiung für die zum Überleben notwendigen Bedürfnisse. Vielmehr muss in der Konsequenz das Kindergeld erhöht werden. Seit sechs Jahren ist es auf demselben Satz eingefroren.

Aus Aussagen, dass es doch wohl niemandem weh tue, wenn man auf die geplante Kindergelderhöhung verzichte, spricht auch eine Arroganz des gesättigten Wohlstandsbürgertums. Die diskutierten 10 Euro mehr bedeuten bei drei Kindern 360 Euro im Jahr - viele Familien würden dieses Geld dringend brauchen. Kinder sind das mit Abstand größte Armutsrisiko in Deutschland. Und die staatliche Leistung bewahrt so manche Familie vor Hartz IV.

Das Kindergeld lässt sich nicht mit mehr Betreuung oder mit Hilfen für Familien in prekären Situationen verrechnen. Alle drei Dinge sind dringend nötig in einem Land, das die Potenziale, die in jungen Menschen stecken, nicht genügend fördert, das eine hohe Chancenungleichheit zulässt und das wegen des Kindermangels seine Zukunft zu verspielen droht. Substanzielle Änderungen kosten viel Geld. Sie sind nicht per Flatrate zu bekommen. Das ignorieren viele Politiker weiterhin.

Für Eltern und Familien wiederum ist es fatal, wenn sie sich dem Diktat der "Kostenneutralität " beugen und stattdessen Grabenkämpfe gegeneinander führen, etwa über die Förderung der Kleinkindbetreuung. Da werden einerseits Frauen, die im Beruf stehen, als Rabenmütter diffamiert. Andererseits wird den "Nur "-Hausfrauen (oder -männern) mit dem Unwort "Herdprämie " Verachtung entgegengeschleudert. Und Eltern, die von Sozialleistungen leben, wird infam unterstellt, sie würden zusätzliches Geld nur vertrinken oder für die so oft angeführten Flachbildschirme ausgeben.

Dieser Zwist schadet am Ende allen Familien. Den einen, richtigen Weg in der Familienförderung gibt es nicht. Familien benötigen insgesamt einen guten, verlässlichen Rahmen, in dem sie die eigenen Lebensentwürfe gestalten können. Größere materielle Sicherheit ist so wichtig wie gute Betreuungsangebote und die Unterstützung Benachteiligter. Dafür sollten Familien an einem Strang ziehen und sich nicht gegenseitig ausspielen lassen mit dem ziemlich durchsichtigen Ziel, dass am Ende alles so bleibt, wie es ist. PATRICK GUYTON

SÜDWEST PRESSE,23.02.2008

Letzte Änderung: 23.02.2008