Macht Theater, Migranten

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03.03.2008 Von Simone Kaempf : Über Integration und Parallelgesellschaft wird zur Zeit viel diskutiert, aber nicht am Theater.

Dort lässt man die Migranten ihre Geschichten auf der Bühne selbst erzählen. "Flüchtlinge im Ruhestand" hat nächste Woche in Essen Premiere.
Katernberg? Den Essener Stadtteil kennt die Theaterwelt, seit der Regisseur Nuran David Calis dort ein halbes Jahr lang lebte und mit Jugendlichen inszenierte. In "Homestories" erzählen sie vom Leben im Essener Problemviertel wie von ihren Wurzeln in der Türkei oder dem Libanon. Sie kennen noch die unzuverlässige Elektrizität in Kasachstan, aber auch die Probleme in Deutschland – genauso wie die erste große Verliebtheit, die einen überall stärker umhaut als alles andere.
Diana Küster
Eustache Nkerinka, ehemaliger Botschafter Ruandas, im Stück "Flüchtling im Ruhestand": Seismographisch reagieren
Mit welchen Widersprüchen lebt man, wenn man in zwei Welten aufwächst? Während allerorten über Parallelgesellschaft und Integration diskutiert wird, haben die Theater seismografisch reagiert.
In immer mehr Projekten stehen diejenigen auf der Bühne, die sonst nur Gegenstand der Debatte sind. Deutschtürken der zweiten Generation erzählten in dem Stück "Klassentreffen", das vor fünf Monaten am Berliner Hebbel am Ufer entstand, von ihrem Leben in Berlin. In München läuft zur Zeit das "Doing Identity"-Programm, das sich mit der Verschmelzung der Kulturen beschäftigt.
Am Schauspiel Essen, an dem man sich jede Saison mit der Stadt und den Problemen der Region beschäftigt, geht es in den nächsten Wochen um Menschen, die hier ihr Glück suchen. Nuran David Calis arbeitet an einem Abend über Einwanderer, Premiere Ende April. Italienische Gastarbeiter im Ruhrgebiet werden von Katja Fillmann auf die Bühne geholt.
Den Auftakt macht ein Projekt mit sieben Flüchtlingen aus unterschiedlichen Ländern. Ein DDR-Grenz-Flüchtling ist dabei, eine Bosnierin, ein ruandischer Ex-Diplomat, der mithilfe zweier deutscher Abgeordneter das Land verließ, oder ein Kongolese, der sieben Jahre lang in Essen auf die Anerkennung seines Asylantrags wartete.
Um solche Warte- und Zwischenzustände, nicht um die spektakulären Fluchtgeschichten geht es der Regisseurin Mirjam Strunk: "Bei Flüchtlingen denkt man schnell an Schleuserboote, die abgefangen werden, oder an lange Trecks, die ein Lager erreichen." Das Warten in einem Lager, auf einen Asylantrag oder auf Rückkehr sei aber genauso prägend.
Die 33-Jährige hat schon vor zehn Jahren mit türkischen Jugendlichen, Erwachsenen und Senioren Theater gemacht. Wer bin ich, und wer wäre ich gewesen, wäre ich in meiner Heimat geblieben? Die Frage zieht sich bis heute durch Strunks Inszenierungen, sieht man mal von ihren Jobs als Produktionsassistentin beim Festival Theaterformen oder bei Peter Steins Expo-"Faust" ab.
Am Schauspiel Essen leitete Strunk vor zwei Jahren den Theaterclub für über 60-Jährige. Ruhestand wird auch bei den Flüchtlingen ein Thema sein. Denn sie sind auf der Suche nach einem besseren Leben nach Deutschland gekommen, aber sehnen sich für ihr Alter in ihre Geburtsländer zurück. Der Rückweg bleibt meistens versperrt. Was das heißt? Strunk beschreibt es so: "fremder sterben".

Letzte Änderung: 03.03.2008