Schmerz ist nur ein Randgebiet

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07.03.2008 Chronisch Kranke oft schlecht versorgt In Deutschland leiden rund fünf Millionen Menschen unter chronischen Schmerzen. Kritikern zufolge ist die Versorgung der Patienten schlecht.

Als eine gesundheitspolitische Katastrophe haben Ärzte die medizinische Versorgung von Schmerzpatienten in Deutschland kritisiert. Millionen Menschen litten an chronischen Schmerzen, obwohl dies bei einem Großteil der Patienten mit einer gezielten Vorbeugung und konsequenter Behandlung verhindert werden könnte, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie, Gerhard Müller-Schwefe, gestern zum Auftakt des Deutschen Schmerz- und Palliativtages in Frankfurt am Main.

Nach Angaben des Experten haben in Deutschland etwa fünf Millionen Menschen chronische, länger andauernde oder wiederkehrende Schmerzen. Bei rund 900 000 dieser Patienten seien die Beschwerden zu einer eigenständigen Krankheit geworden. Die Behandlung von Schmerzpatienten und Todkranken sind laut Müller-Schwefe nach wie vor nur Randgebiete in der Medizin. Und das, obwohl die Mehrzahl der über 800 000 Menschen, die pro Jahr in der Bundesrepublik sterben, oft alleine und unter Qualen aus dem Leben scheiden würden. Die Not der Betroffenen werde von den politisch Verantwortlichen vielfach ignoriert.

Eine entscheidende Ursache dieser Entwicklung sieht der Göttinger Arzt und Therapeut in den Defiziten der Medizinerausbildung. "Das Wissen über Chronifizierungsmechanismen und die Therapie von chronischen Schmerzen ist bis heute weder Pflichtfach für die Medizinstudenten noch Pflichtfach in der Weiterbildung zum Facharzt ", kritisierte Müller-Schwefe.

Zugleich machten es die verkrusteten Strukturen des Gesundheitssystems und die ökonomische Situation nahezu unmöglich, moderne Behandlungskonzepte umzusetzen, die Körper und Seele gleichermaßen behandelten.

Die Ärzte bekämen heute allenfalls noch eine Beratung pro Quartal vergütet, erklärt Müller-Schwefe: "Damit findet eine effektive Schmerztherapie in diesem System nicht mehr statt. " Menschen mit chronischen Schmerzen besäßen aufgrund ihrer Erkrankung oft nur eine geringe Kaufkraft. Viele seien Frührentner oder arbeitslos - ohne große Möglichkeiten, sich finanziell an ihrer Gesunderhaltung zu beteiligen. Die Gesundheitsreform habe aber eine stärkere Eigenbeteiligung der Patienten zum Ziel. "Darum kommen die Schmerzpatienten in der Regelversorgung unseres derzeitigen Gesundheitssystems zunehmend unter die Räder ", sagte Müller-Schwefe.

Auf dem Schmerz- und Palliativtag beraten noch bis Samstag hunderte Ärzte und Therapeuten über neue Diagnose-, Vorbeugungs- und Therapie-Methoden.
SÜDWEST PRESSE,06.03.2008

Letzte Änderung: 07.03.2008