Vom Mehrwert Frau profitieren
Gesten bewegen Menschen, Symbolik löst Denkanstöße aus. Der Publizismus darf vernünftige Gedenktage nicht einfach einem galoppierenden Gedenktagsunsinn opfern.
Treffen wir am heutigen Internationalen Frauentag, der seit 1911 begangen wird, und 101 Jahre nach der Februar-Revolution mit streikenden Petersburger Textilarbeiterinnen Feststellungen: 1958 arbeiteten in Deutschland 90 Prozent der Männer und 46 Prozent der Frauen, heute ist das Verhältnis 75 zu 62 Prozent. Der Frauenanteil im Management stagniert hartnäckig auf unter 30 Prozent. Ergo: Männer machen leichter Karriere, Teilhabe ist nicht automatisch Umverteilung von Macht und Verantwortung.
Getrieben vom Horror eines Arbeitskräftemangels in einer überalternden Gesellschaft hat die Wirtschaft entdeckt, welch profitliches Potenzial in der Frau steckt. Weibliche Rentierlichkeit heißt, dass Fraueneinkommen um ein Fünftel niedriger sind als die der Männer. Verglichen mit estnischen Löhnen mag das passabel sein, zufriedenstellen kann es die grundgesetzlich gleichberechtigte Gesellschaft nicht, dass die deutsche Geschlechter-Einkommensschere weiter auseinander klafft als im Europa-Durchschnitt. Die DGB-Frauenkampagne "Ich bin mehr wert " hat Berechtigung, so antiquiert das Motto klingen mag.
Zweifellos schöpfen deutsche Unternehmen neue Kraft aus den Begabungspotenzialen, Kreativitätskräften und dem Durchsetzungsvermögen der Frauen. Ökonomische Realität ist aber, dass es häufig ausreicht, nur Mann zu sein, um etwas zu werden. Für Frauen gilt das nicht.
In der Politik gilt diese Geschlechternorm nur noch bedingt. Zwar will sich der Drittel-Anteil weiblicher Abgeordneter im Bundestag seit drei Wahlen partout nicht mehr erhöhen. Doch sind sechs der 16 Kabinettsmitglieder im Bund Frauen, vorneweg die Kanzlerin. Die Politik ist nicht weiblich geworden, aber weiblicher. Aus der Region Ulm/Neu-Ulm beispielsweise kommen drei Ministerinnen. Nur eine ist Mutter, die beiden anderen sind ledig und kinderlos.
Die Avantgarde des Feminismus hat einst thematisiert, warum viele kluge Frauen keine Kinder bekommen. Ein Grund sei, dass überall dort die Geburtenraten sinken, wo der Faschismus die Frau reduziert hatte auf die Mutterkreuz-Ideologie. Neben der Faschimus-Theorie steht die Frauenbewegung für die bis heute nicht widerlegte These der Familienfalle: Mütter tragen einseitig die Bürde der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Frauenprobleme sind keine Luxusprobleme geworden, die nicht mehr beschrieben werden müssten. Schon gar nicht weltweit. Am Weltfrauentag 2008 stellen wir ernüchtert fest: Nichts hat sich gebessert. In Indien werden noch immer vermehrt Mädchen abgetrieben, in Afrika Frauen die Klitoris beschnitten. Wir kaufen von Weltmarktfirmen Kleider, deren Accessoires Frauen in Fernost zu Hungerlöhnen herstellen. Immer mehr Frauen müssen ihre Heimat verlassen, weil sie dort keine Existenz mehr finden. Migration ist weiblich, bilanziert die Uno bitter.
Bildungsarmut auch. Zwei Drittel aller Frauen auf dieser Welt können nicht lesen und schreiben. Wie könnten wir angesichts solcher humanistischer Katastrophen nicht schreiben am Welttag der Frau?
Info
Der Internationale Frauentag wird seit 97 Jahren begangen. Begründerin war die deutsche Sozialdemokratin Clara Zetkin. Auf ihre Anregung hin versammelten sich im März 1911 Frauen in Deutschland, Dänemark und
Österreich, Schweden und in der Schweiz und forderten Mitbestimmung.
SÜDWEST PRESSE,08.03.2008
Letzte Änderung: 08.03.2008