Chantal Sébires Leidensweg

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24.03.2008 Die an Krebs erkrankte Französin Chantal Sébire ist tot. Ihr Schicksal hat Bewegung in Frankreichs Debatte um Sterbehilfe gebracht.

"Das ist reine Barbarei. Mussten die uns das wirklich antun?", klagte die völlig fassungslose Virginie Sébire. Soeben hat die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass die Leiche ihrer Mutter Chantal entgegen dem Willen der Familie obduziert wurde. Die 52-jährige, an einem unheilbaren Krebsgeschwür leidende Französin war am Mittwochabend in ihrer Wohnung im burgundischen Plombières-les-Dijon von ihrer ältesten Tochter tot aufgefunden worden. Wahrscheinlich hat sie ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt.

Die Obduktion ergab keine eindeutigen Hinweise auf die Todesursache der früheren Lehrerin, die sich die Justiz nun von zusätzlichen Gewebe- und Blutanalysen erhofft. "Eine Farce ", kommentiert Sébires Anwalt Gilles Antonowicz: "Macht es einen Unterschied, ob Chantal ins Wasser ging oder eine Überdosis Medikamente nahm? Wenn sie wirklich Selbstmord begangen haben sollte, dann nur, weil man ihr keinen anderen Ausweg ließ. " Sicher ist, dass die seit langem von unerträglichen Schmerzen geplagte Frau unbedingt ihren Tod herbeigesehnt hat. Erst am Montag war ein Antrag Sébires auf aktive Sterbehilfe von einem Gericht in Dijon abgelehnt worden.

Der Leidensweg der Mutter dreier erwachsener Kinder hat die französische Öffentlichkeit erschüttert. Seit acht Jahren litt Chantal Sébire an einem seltenen Krebsgeschwür, das ihr die Augen aus dem Gesicht drückte, die Nase zerfraß und sie auf monströse Weise entstellte. "Ich bin am Ende dessen, was ich ertragen kann ", hatte sie wenige Tage vor dem Gerichtentscheid erklärt.

Vergeblich hat Sébire darum gekämpft, mit "ärztlicher Hilfe, daheim und in Würde " aus dem Leben scheiden zu können. Ein Wunsch, den Richter René-Jean Jaillet angesichts ihres "jedes Mitgefühl verdienenden körperlichen Verfalls " als "menschlich nachvollziehbar " bezeichnete. Aber er verwies auch darauf, dass die aktuelle Gesetzeslage aktive Sterbehilfe "ohne jede Ausnahme " verbiete. Seit einer Reform vor drei Jahren dürfen unheilbar kranke Patienten lebenserhaltende Maßnahmen verweigern. Doch die Verabreichung tödlicher Dosen von Schlaf- oder Schmerzmitteln bleibt weiterhin strafbar.

In ihrer Not hatte Sébire einen Appell an Präsident Nicolas Sarkozy gerichtet, die Sterbehilfe zu legalisieren. Tatsächlich bringt ihr Schicksal Bewegung in die Debatte. Außenminister Bernard Kouchner, der selbst Arzt ist, sagte: "Ich finde es sehr schwierig, dass wir Chantal Sébire keinen Weg anbieten können, der für sie und ihre Lieben gangbar ist. " Familienministerin Nadine Morano plädierte dafür, in Ausnahmefällen und nach strenger Prüfung aktive Sterbehilfe zu ermöglichen. Andere Regierungsmitglieder wie die Ministerinnen für Justiz- und die Gesundheit hingegen stellten sich hinter die geltende Regelung. Regierungschef Francois Fillon beauftragte darauf den Abgeordneten und Kardiologen Jean Leonetti, das erst 2005 geänderte Gesetz zu überprüfen.
SÜDWEST PRESSE,22.03.2008

Letzte Änderung: 24.03.2008