Löhne unter dem Existenzminimum

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01.04.2008 Sie haben zwar Arbeit, doch ihr Gehalt reicht nicht zum Leben aus: Hartz-IV-Aufstocker. Immer mehr Zeitarbeiter und Dienstleister sind betroffen.

1,3 Millionen Menschen in Deutschland erhalten mittlerweile zusätzlich Geld vom Staat, obwohl sie arbeiten. Denn ihr Verdienst ist so niedrig, dass er nicht einmal ans Existenzminimum heranreicht. Die Differenz wird von Hartz IV übernommen. Durch den wirtschaftlichen Aufschwung gibt es zwar vielerorts mehr Stellen, doch in einigen Branchen sind die Löhne extrem niedrig.

Ein großer Teil der Hartz-IV-Aufstocker arbeitet zwar in Mini-Jobs, doch es gibt auch viele Vollzeittätige unter ihnen, sagt etwa Peter Oestreicher von der Arbeitsagentur Ulm. "Etwa ein Drittel der Hartz-IV-Ergänzer arbeiten ganztags. " Der DGB geht sogar davon aus, dass diese Menschen die Hälfte aller Aufstocker ausmachen. Im September 2005 hatten 949 000 Berufstätige zusätzliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten, berichtet der DGB. Bis August 2007 hat diese Zahl um gut ein Drittel zugenommen.

Die größte Gruppe unter den in Vollzeit arbeitenden Aufstockern sind Zeitarbeiter. Auch stark von Armutslöhnen betroffen sind das Gastgewerbe, Friseur- und Kosmetiksalons, Zusteller sowie der Einzelhandel. Dass vielen das Gehalt nicht reicht, liegt an gesunkenen Stundenlöhnen. Von 6,50 Euro oder weniger könne keiner leben, sagt Oestreicher. Sobald Kinder oder weitere Haushaltsmitglieder da sind, erhöht sich der Bedarf weiter, dann reicht auch ein höherer Stundenlohn nicht mehr zum Leben aus.

Dennoch soll sich auch schlecht bezahlte Arbeit lohnen. Deshalb werden die ersten 100 Euro des Einkommens nicht mit Hartz IV verrechnet, vom Rest kann der Werktätige 20 Prozent über dem Hartz-IV-Satz behalten. Der 55-jährigen Ulmerin Gertrud Ackermann etwa bleiben von ihren 400 Euro aus zwei Minijobs 160 Euro zusätzlich zum Hartz-IV-Regelsatz. "Weil ich aber für die Arbeit ein Auto und angemessene Kleidung brauche, habe ich im Grunde nicht mehr als davor, als ich arbeitslos war ", sagt sie.

Die alleinerziehende Ulmerin Marita Mündik (Name geändert) hat erlebt, dass sie auch mit einer Vollzeit-Arbeit finanziell nicht über die Runden kommt. Als selbstständige Kosmetikerin gelang es ihr nicht, den Unterhalt für sich und ihre zwei Töchter zu erwirtschaften. Also erhielt sie ergänzend Hartz IV. Mit der Kosmetiker-Arbeit ist nun allerdings Schluss: Die Arbeitsagentur will, dass Selbstständige, die auf keinen grünen Zweig kommen, aufgeben. Seit kurzem jobbt sie nun in einem Callcenter.
SÜDWEST PRESSE,01.04.2008

Letzte Änderung: 01.04.2008