Schuften für einen Hungerlohn

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07.04.2008 Niedrige Entgelte haben bei Saisonarbeitern Tradition - Engpass bei Erntehelfern befürchtet

Fast 300 000 ausländische Saisonarbeiter werden in den kommenden Monaten in Deutschland bei der Ernte helfen. Weil die Löhne hierzulande niedrig sind, wandern viele Helfer in andere Länder ab.
Wenn sich im Frühling der Boden über zwölf Grad erwärmt, beginnt der Spargel zu wachsen. Das Stechen der Stangen ist mühevolle Handarbeit, die weit überwiegend von Saisonkräften aus den Nachbarstaaten im Osten Deutschlands geleistet wird. Vermittelt werden sie über die Arbeitsagenturen, die Arbeitserlaubnisse erteilen. Bis März haben Bauern, Winzer, Gärtner und Wirte schon 85 000 ausländische Helfer angefordert.

In Deutschland herrscht noch bis mindestens 2009 keine Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus den EU-Staaten Mittel- und Osteuropas, anders als etwa in Irland und Großbritannien, weiß Anke Friedrich vom Bauernverband. "In diese Länder gehen vor allem viele Polen nun lieber. Denn sie dürfen dort in allen Branchen und unbefristet arbeiten, wo teilweise ja auch höhere Löhne als in der Landwirtschaft bezahlt werden ", sagte Friedrich. Den Engpass versuchten viele Agrarbetriebe nun mit Kräften aus anderen Staaten, Familienangehörigen, Freunden und Bekannten sowie heimischen Arbeitslosen aufzufüllen.

Kein Wunder, dass sich der Bauernverband auf der Suche nach gewohnt billigen Arbeitskräften weiter Richtung Osten orientieren möchte. Doch mit der Bitte, Absprachen mit Drittstaaten außerhalb der EU wie etwa der Ukraine und Weißrussland zu treffen, und auch die EU-weite Arbeitnehmerfreizügigkeit sofort umzusetzen, blitzte der Verband beim Bundesarbeitsministerium bislang ab. Auch eine Verlängerung der Beschäftigungszeit der einzelnen Saisonarbeitskraft von vier auf neun Monate war zum Bedauern der Bauern nicht durchsetzbar.

Auch die FDP im Bundestag warnt vor einem Engpass bei den Erntehelfern. Der agrarpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Hans-Michael Goldmann, nannte die Ende 2007 verlängerte Erntehelferregelung praxisuntauglich und planwirtschaftlich und verlangte, sie durch eine neu einzuführende Freizügigkeit für Arbeitnehmer in der EU im Agrarbereich zu ersetzen.

Laut der Eckpunkteregelung müssen 20 Prozent der Erntehelfer Einheimische sein. Neu vereinbart wurde, dass in Bezirken mit guter Beschäftigung künftig 90 Prozent mittel- und osteuropäische Saisonarbeiter arbeiten dürfen, ohne dass die Arbeitsagenturen bei den Arbeitserlaubnissen den Vorrang Deutscher beachten müssen.

Sigrun Heil von der zuständigen Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt sieht den Schwarzen Peter eher bei den Arbeitgebern. "Die Landwirte sollten endlich verstehen, dass sie Löhne zahlen müssen, von denen sich leben lässt. "

Ihr Kollege Hans-Joachim Wilms wies zum Jahreswechsel darauf hin, dass Deutschland an viertschlechtester Stelle in ganz Europa liege, was die Entlohnung betrifft. Die Saisonkräfte gingen lieber nach England, Irland, in die Niederlande oder nach Belgien, weil sie dort mehr Lohn erhielten. "In Belgien sind 7,84 EUR mindestens garantiert. "

Wie krass die Zustände teilweise immer noch sind, machte ein Prozess in Bayern gegen den Besitzer einer Erdbeerplantage deutlich. Laut Anklage ließ er 59 Rumänen illegal täglich zehn Stunden fast ohne Pause arbeiten. Den versprochenen Stundenlohn von 5,50 EUR wollte er nie zahlen; von Anfang an ging er nur von 1,50 EUR bis 1,80 EUR aus. Schlafen mussten die Helfer in dreckigen Containern ohne Wasseranschluss, wofür ihnen pro Nacht noch drei EUR vom Lohn abgezogen wurden.
SÜDWEST PRESSE,07.04.2008

Letzte Änderung: 07.04.2008