Der Patient ist kein Bittsteller

Vorschaubild

24.04.2008 Vom ersten Kontakt bis zur Therapie: Ein Arzt muss den Kranken als Ganzes wahrnehmen

Fünf bis sieben Minuten sieht der Patient den Arzt beim Praxisbesuch. Umso wichtiger, dass sich der Kranke von der ersten Sekunde an ernst genommen fühlt. Ein guter Arzt leistet das - und vieles mehr.
"Die meisten Menschen sterben an ihren Ärzten, nicht an ihren Krankheiten", weiß ein französisches Sprichwort. Anders gesagt: Je besser der Arzt, desto größer die Überlebenschancen. Was aber macht einen guten Arzt aus?

Selbstverständlich soll er die Heilkunst beherrschen und - gut fortgebildet - auf dem neuesten Stand sein. "Die Arztwahl ist aber auch Geschmackssache", sagt Sylvia Sänger vom Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin in Berlin. Patientin A. etwa stört die kühle, sachliche Art ihres Arztes nicht. Patient B. hingegen empfindet den distanzierten Ton als abschreckend.

Die meisten Menschen fragen Freunde, Bekannte oder Arbeitskollegen, wenn sie einen Haus- oder Facharzt suchen. "Das kann funktionieren", sagt Sänger, "muss aber nicht." Umso wichtiger, dass man weiß, welche objektiven Kriterien ein guter Arzt erfüllen sollte. Gemeinsam mit Selbsthilfeorganisationen, der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hat das Berliner Zentrum eine Checkliste erarbeitet.

Der erste Kontakt. Schon am Telefon kann man etwas über die Praxis erfahren. Erhält man bei akuter Erkrankung schnell einen Termin? Macht der Arzt Hausbesuche? Wird in einer Gemeinschaftspraxis die Entscheidung respektiert, zu welchem Arzt man möchte? Will die Arzthelferin als allererstes wissen, ob man Kassen- oder Privatpatient ist? "Kein gutes Zeichen sind gestresste Arzthelferinnen, die dem Anrufer das Gefühl vermitteln, ungelegen zu kommen oder lästiger Bittsteller zu sein", sagt Sänger.

Im Wartezimmer. Ob man dem Patienten Respekt entgegenbringt, lässt sich häufig bereits vor dem ersten Kontakt mit dem Arzt erkennen. Es darf nicht passieren, dass andere an der Anmeldung oder im Wartezimmer mitbekommen, warum man den Arzt aufsucht, wann man zuletzt Stuhlgang oder die Regelblutung hatte. Kein gutes Zeichen ist, wenn man Einsicht in fremde Krankenakten und Rezepte erhält, weil diese am Empfang offen herumliegen. Für Unmut sorgen oft zu lange Wartezeiten. Dazu kann es wegen eines Notfalls kommen, weil der Arzt für einen Patienten unerwartet viel Zeit aufwenden musste oder die Praxis schlecht organisiert ist. Mehr als 30 Minuten sollte es nicht dauern, bis man ins Sprechzimmer gerufen wird. Wer länger gewartet hat, darf die Praxis verlassen, ohne Regressansprüche fürchten zu müssen. Gut, wenn das Personal flexibel ist, der Patient noch einmal weggehen kann, um Besorgungen zu machen und per Handy oder Piepser verständigt wird, wenn er an der Reihe ist.

Im Sprechzimmer. Fünf bis sieben Minuten im Schnitt bekommt der Patient, der seine Krankheit meist als Ausnahmezustand erlebt, seinen Arzt zu Gesicht. Da zählt jede Sekunde. Umso wichtiger, dass man auf Anhieb das Gefühl hat, ernst genommen zu werden. Ein guter Arzt hört aufmerksam zu, fragt nach und untersucht sorgfältig. Wenn der Patient sich schon halb entkleiden soll, bevor der Doktor kommt, wird er wohl in erster Linie als Zeitfaktor wahrgenommen.

Handelt es sich nicht um Bagatellen, will ein guter Arzt wissen, was vor der Erkrankung war - etwa, ob es privaten oder beruflichen Stress gab - und wie sich die Erkrankung auf den Alltag auswirkt. Wichtig auch die Frage nach dem Schlaf. All das zeigt, ob der Arzt den Kranken nur in Teilen oder als Ganzes wahrnimmt. Seit in jedem Sprechzimmer auch ein Computer steht, neigt mancher dazu, "sich eher dem Rechner als dem Patienten zuzuwenden", sagt Sänger. "Das geht nicht, auch wenn es die Krankengeschichte ist, die er gerade eingibt." Der Kranke habe das Recht auf ungeteilte Aufmerksamkeit. "Ein Arzt darf nicht in erster Linie seine eigenen Pfade im Kopf haben."

Stellt er die Diagnose, sollte er verständlich und mit Schaubildern erklären, welche Erkrankung vorliegt. Seine persönliche Einschätzung darf dabei nicht fehlen. Gut ist, wenn der Arzt erläutert, welche verschiedenen Therapien es gibt, wie sie wirken und mit welchen Risiken und Erfolgsaussichten sie jeweils verbunden sind. Danach muss der Patient Fragen stellen können. Ein guter Arzt wird ihn dazu sogar ermuntern. Die Entscheidung, wie es weitergehen soll, muss gemeinsam fallen. Der Patient braucht genügend Bedenkzeit.

Auf dem Weg hinaus. Reagiert der Arzt mit Unverständnis oder empfindet es als Vertrauensbruch, wenn man eine zweite Meinung einholen will, spricht das nicht für ihn. "Man sollte sich da nicht einschüchtern lassen", sagt Sänger, "schließlich geht es um etwas." Auch muss der Arzt bereit sein, mit Kollegen anderer Fachrichtungen Befunde und Therapiemöglichkeiten zu diskutieren. Er selbst darf ebenfalls eine zweite Meinung einholen, wenn es sich etwa um die Verordnung neuer, sehr teurer Medikamente handelt.

Im Idealfall erfährt der Patient noch in der Praxis, wo er weitere verlässliche Informationen bekommt. "Das Internet", sagt Sänger, "ist oft keine gute Quelle." Nicht wenige Medizin-Informationen dort seien falsch, unvollständig oder interessengeleitet. Selbstverständlich sollte auch sein, Patienten Kopien aller Befunde und Röntgenbilder leihweise zu überlassen.

Für den Arzt und sein Personal spricht, wenn sie sachlicher Kritik aufgeschlossenen begegnen. Hat der Patient jedoch mehrfach das Gefühl, nicht gut behandelt zu werden, empfiehlt es sich, den Arzt zu wechseln. Allerdings sollte man sich auch vor überhöhten Erwartungen hüten. Schon Hippokrates wusste: "Nicht der Arzt heilt die Krankheit, sondern der Körper."
SÜDWEST PRESSE,24.04.2008

Letzte Änderung: 24.04.2008