Kein Bock mehr auf Wurstbrot

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29.04.2008 Religiöse Konflikte in Kindergärten

Kindergärten sind zu wenig auf interkulturelle und interreligiöse Konflikte vorbereitet. Dieses Fazit ziehen Tübinger Wissenschaftler in einer Studie.
Die Mutter war erstaunt, als ihr Kind das Vesperbrot mit Wurst ablehnte und nur noch andere Beläge akzeptierte: Käse, Nusscreme oder Marmelade. Ob es denn keine Wurst mehr möge, fragte die Mutter. Das Kind antwortete: "Wenn ich Wurst esse, komme ich in die Hölle." Bald erfuhr die Mutter, was der Hintergrund dieses Problems war. Das Kind hatte sich im Kindergarten mit muslimischen Kindern auseinandergesetzt. Und die erklärten ihm, dass der Verzehr von Schweinefleisch Sünde sei.

Über solche Irritationen berichteten Tübinger Religionspädagogen gestern. Nach einer Pilotstudie in deutschen Großstädten gehören solche Irritationen inzwischen zum Alltag in vielen Kindertagesstätten und Kindergärten. In den Einrichtungen prallen unterschiedliche kulturelle und religiöse Haltungen aufeinander. Sie führen immer wieder zu Konflikten. Und auf diese Konflikte, so die Professoren Albert Biesinger und Friedrich Schweitzer, sind die wenigsten Erzieherinnen vorbereitet.

Um den Konflikten aus dem Wege zu gehen, so ergab die Studie, feiern viele Kindergärten kein Osterfest mehr, sondern zelebrieren aus Rücksicht auf die muslimischen Kinder ein neutrales Frühlingsfest. Statt Schweinswürsten und Schweinehälsen gibt es vegetarisches Essen. Schweitzer hält dies für falsch. "Man sollte die Konflikte nicht verdrängen", sagt der Professor an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Uni Tübingen. In diesem Fall vergebe man die Chance, gegenseitige Toleranz einzuüben. Schon im Kindergarten - oft dem ersten Ort, an dem sich Kinder verschiedener Religionen begegnen - sollte man das Verständnis für die jeweilige kulturellen und religiösen Positionen einüben, meint Schweitzer. Wenn das nicht getan werde, so sein Kollege Biesinger, "kriegen wir ein Problem in der Gesellschaft".

Zwar gibt es in den Bundesländern Orientierungspläne für die gemeinsame Erziehung von Kindern aus christlichen, muslimischen und konfessionslosen Familien in Kindergärten. Doch die Erzieherinnen sind, wie Biesinger und Schweitzer festhalten, noch zu wenig darauf vorbereitet. Dieses Ergebnis erbrachte die Pilotstudie der Wissenschaftler, die auf Umfragen in 364 Kitas der Großstädte Aachen, Berlin, Dresden, Hamburg, Frankfurt, Ludwigshafen, Mannheim und Stuttgart basiert. "Nur in einer kleinen Minderheit von Einrichtungen findet eine religiöse Begleitung statt", sagt Schweitzer, "da besteht ein großer Nachholbedarf."

Die Unsicherheit in den Kindergärten erstreckt sich auf viele Bereiche. Nicht nur bei der Ernährung müssen die Erzieherinnen Lösungen finden. Auch was die Bekleidung angeht, haben muslimische Eltern häufig andere Ansichten als deutsche. So ist für viele Deutsche nichts dabei, ihre Kleinkinder bei Kindergartenfesten nackt im Pool plantschen zu lassen.

Die Tübinger Wissenschaftler wollen ihre Forschungen vertiefen. Die Stiftung Ravensburger Verlag finanziert mit 225 000 Euro weitere Untersuchungen. Dabei geht es auch darum, die Erfahrungen vorbildlicher Einrichtungen zu sammeln und sie an andere Kindertagesstätten weiterzugeben.

Allerdings müsse jede Einrichtung ihren eigenen Weg finden, sagt Schweitzer. Eine Einrichtung auf dem Lande mit einem sehr geringen Anteil muslimischen Kinder müsse mit den Problemen anders umgehen als eine Einrichtung in der Großstadt.

Text: RAIMUND WEIBLE
Südwest Presse,29.04.2008

Letzte Änderung: 29.04.2008