Trommeln für den Patienten-Aufstand

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20.05.2008 Renate Hartwig warnt vor Privatisierung

Das Gesundheitswesen in Deutschland ist im Umbruch. Auf ihrem Ärztetag in Ulm haben die Mediziner die Chance, ihren Widerstand gegen die Privatisierung des Systems deutlich zu machen.
Wettbewerb und Qualitätsmanagement - das sind die angeblichen Mittel, mit denen die Gesundheitspolitiker in Bund und Ländern das Solidarsystem retten wollen. In immer kürzeren Abständen soll mit Reformgesetzen der Unter-, Über- und Fehlversorgung begegnet werden. Doch die Paragraphenwerke führen keineswegs zum wirtschaftlicheren Einsatz der Mittel. Patienten erfahren zunehmend, dass selbst für notwendige Behandlungen, Heilmittel und Medikamente das Geld fehlt. Reichen die 150 Milliarden Euro der Versicherten nicht aus?

Bis zum Beweis des Gegenteils ist Renate Hartwig mit ihrer Bürgerinitiative überzeugt, dass Versichertenbeiträge in Milliardenhöhe absichtlich der Krankenversorgung entzogen werden: Da buhlen die 220 Krankenkassen mit großem Werbeaufwand um Gesunde. Da zanken zigtausende Kassen-Sachbearbeiter tagtäglich mit Ärzten um notwendige Behandlungen, Heil-, Hilfsmittel oder Medikamente. Da werden kostspielige Verträge mit Tochterfirmen potenter ausländischer Konzerne abgeschlossen, damit diese Privatunternehmen über Callcenter chronisch Kranke zu einem gesunden Lebenswandel anhalten, wohl wissend, dass dies weder überprüfbar noch überzeugend sein kann. Da werden weitere Telefoncenter finanziert, um dieselbe Patientengruppe zu überreden, sich in ein so genanntes Disease-Management-Programm einzuschreiben, obwohl diese 2009 auslaufen sollen.

Dabei verdient die Kasse über den Risikostrukturausgleich, den ihre Konkurrenten finanzieren, das 100-fache dessen, was der Arzt für die Betreuung der Diabetiker oder Herzkranken erhält. Da kaufen weltweit tätige Aktiengesellschaften Klinken oder große Labor- und andere Arztpraxen auf, um sie in so genannte Medizinische Versorgungszentren umzuwandeln. Inzwischen tummeln sich bereits Konzerne aus den USA, Großbritannien, Australien oder Österreich, um lukrative Versorgungszweige zu übernehmen. Da steckt die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt 19 Milliarden Euro Steuer- und Versichertengelder in das Projekt "elektronische Gesundheitskarte ", die weder Ärzte noch Bürger befürworten.

Für Renate Hartwig zeigen diese Beispiele, dass unter dem Deckmantel "Reformen " das Gesundheitssystem privatisiert werden soll. Auf der Strecke bleiben die freiberuflich tätigen Ärzte, die sich in jedem Fall weit mehr ihren Patienten verpflichtet fühlen als irgendeine anonyme Aktiengesellschaft mit dem Ziel der Gewinnmaximierung. Dass viele Bürger wie die Neu-Ulmer Buchautorin denken, belegt ihre Unterschriftenaktion, die bisher nur in Bayern lief. Mehr als eine Million Menschen lehnen den Umbau des Gesundheitssystems entschieden ab.

Hartwig fordert mit Blick auf den heute beginnenden Ärztetag in Ulm die Vertreter der Ärzteschaft auf, dem Beispiel zu folgen und der Kommerzialisierung des Systems wie der elektronischen Gesundheitskarte eine unmissverständliche Absage zu erteilen. Sie appelliert an die niedergelassenen Ärzte, aus dem System durch Rückgabe der Kassenzulassung auszusteigen, bevor ihre Praxen abgewickelt oder aufgekauft werden.

Die Neu-Ulmerin will ihre Initiative "Patient-informiert-sich.de " zu einer Bürgerbewegung machen. Mit dem Ziel, die Privatisierung des Solidarsystems durch einen Volksentscheid, - zunächst in Bayern - , aufzuhalten. Der erste Schritt dazu ist eine Großveranstaltung am 7. Juni, 11.30 bis 14 Uhr, im Münchner Olympiastadion.
http://www.patient-informiert-sich.de

SÜDWEST PRESSE,20.05.2008

Letzte Änderung: 20.05.2008