Es geht nicht nur um Rausch

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24.05.2008 Tübinger Forscher wollen wissen, warum und wie Jugendliche saufen Europaweit nimmt der Alkoholkonsum bei jungen Leuten laut Studien zu.

Tübinger Forscher und Forscherinnen untersuchen derzeit qualitativ, wie Jugendliche damit umgehen - und was das für die Präventionsarbeit heißt.
Tübingen. Sie treffen sich in den frühen Abendstunden an einem Supermarkt, kaufen Wodka und Orangensaft und trinken gemeinsam, bis sie nicht mehr laufen können - oder sie kotzen müssen. So oder so ähnlich stellen sich besorgte Erwachsene das Wochenendprogramm vieler Jugendlicher vor. Tatsächlich hat nach den Zahlen des Suchtberichts der Bundesregierung der Alkoholkonsum der Unter-20-Jährigen zugenommen. Aber wie sehen die eigentlich selbst ihr Verhalten? Wissen sie, was sie da tun?

Eine Gruppe von Tübinger Forschern und Forscherinnen am Lehrstuhl von Barbara Stauber am Institut für Erziehungswissenschaft will das mit Grundlagenforschung herausfinden. Unter der Leitung von Gabriele Stumpp untersuchen sie in einer auf ein Jahr angelegten, vom Bundesgesundheitministerium mit 150 000 Euro finanzierten Studie in Zusammenarbeit mit dem Genderforschungsinstitut tifs e.V, was Jugendliche selbst über ihr Trinkverhalten denken. So sollen Ansätze für eine Präventionsarbeit gefunden werden, die auch ankommt.

Die Herangehensweise unterscheidet sich vom bloßen Abfragen der getrunkenen Menge: "Wir sehen die Jugendlichen selbst als Experten", sagt Stumpp. In Deutschland gebe es bislang kaum qualitative Studien. Die Erziehungswissenschaftlerin Sibylle Walter ging gemeinsam mit den Studenten John Litau, Florian Beulich und Christian Wissmann dorthin, wo Jugendliche trinken: An Tankstellen, Supermärkte, in Bauwagen oder vor Clubs. Dann luden sie je zehn aus Stuttgart, Tübingen und Reutlingen sowie aus Gemeinden im Zollernalbkreis zu ein- bis zweistündigen Interviews.

Die Reaktionen waren meistens positiv. "Wer zugesagt hat, kam auch zum Interviewtermin", sagt Walter. Viele waren froh, dass auch mal mit statt nur über sie geredet wurde. Erstaunt hat die Interviewer, was für Mengen manche in sich hineinschütten: "Es gibt 14-Jährige, die trinken eine Flasche Wodka und noch Bier dazu", sagt Stumpp. Erstes Ergebnis der Befragungen, die derzeit ausgewertet werden: Die Jugendlichen betrinken sich keineswegs völlig ungehemmt und sinnlos. "Sie entwickeln Strategien, um den Rausch zu steuern", so Stauber.

Normalerweise trinken sie nicht allein, sondern in der Clique: "Sie stellen Regeln auf und haben ein Auge aufeinander. Dadurch entsteht Halt", sagt Stauber. Manche Gruppen sanktionierten es, wenn sich im Rausch jemand daneben benehme: "Den lassen sie dann eine Weile nicht mehr dabei sein." Gefährlich sei vor allem die Gewöhnung an den Konsum. Der Gefahr sind sich die Jugendlichen bewusst. "Schon 12-Jährige sagen, sie trinken nicht, wenn sie schlecht drauf sind, denn das könnt schief gehen", so Stumpp.

Viele seien zeitweise konsequent abstinent - dann, wenn sie in der Schule funktionieren müssen oder wenn ihnen etwas wichtig ist. Bei einigen der Befragten sorgt der Sport dafür, dass sie nüchtern bleiben. Einer, der als Torwart auf dem Platz steht, erklärt, warum er lieber nüchtern bleibt: "Wenn ich da einen Ball halte, das ist ein Gefühl, da ist mir doch jeder Suff egal."
SÜDWEST PRESSE,23.05.2008

Letzte Änderung: 24.05.2008