Schweigen über Missbrauch gebrochen

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24.05.2008 Katholikentag in Osnabrück stellt sich auch kniffligen Themen

So etwas gab es bei einem Katholikentag noch nie: Ein Bischof und ein Missbrauchsopfer diskutieren offen über das Thema sexuelle Gewalt in der Kirche. Damit wird jahrzehntelanges Schweigen gebrochen
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Als Norbert Denef nach 35 Jahren sein Schweigen brach und auspackte damit, wie ein Priester ihn jahrelang sexuell missbraucht hatte, wurde er ein zweites Mal zum Opfer. Bis auf Frau und Kinder habe seine Umwelt ihn ausgegrenzt, bei der Kirche sei er auf der Suche nach Entschädigung abgeblitzt, schilderte Denef auf dem Katholikentag in Osnabrück. Sexueller Missbrauch in der Kirche war dort erstmals ein Thema für das große Kirchentreffen.

Der Priester sei strafversetzt worden, meinte Denef. "Der hat nach meinen Recherchen 100 bis 150 Kinder missbraucht, das wird geleugnet von der Kirche. " Für die katholische Kirche räumte der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke Versäumnisse ein: "Wir müssen uns schämen. " Erst spät habe sich die Kirche in Deutschland im Jahr 2002 auf Druck durch die Situation in den USA auf Leitlinien zum Umgang mit sexueller Gewalt verständigt. "Die Kirche muss sich ganz besonders schämen, wenn wir, die wir auf einem so hohen moralischen Podest stehen, in diesen Situationen schuldig werden, das ist furchtbar ". Täter müssten bestraft und aus dem Priesterdienst entfernt werden.

"Zum ersten Mal sitzt ein Bischof mit einem Opfer zusammen. Sie haben Mut ", sagte Denef zu Jaschke. Die Leitlinien bezeichnete er als bloßes Stück Papier, "es passiert nichts ". Auf der Suche nach einer Entschädigung habe die Kirche versucht, ihn mit 25 000 Euro "Schweigegeld " mundtot zu machen. "Das Schweigen darf nicht der richtige Weg sein ", mahnte Bischof Jaschke. Er verwies aber auch darauf, dass die Kirche inzwischen einen Blick für die Problematik habe. So habe sein Erzbistum Hamburg ein Expertengremium mit einem Psychologen, einer Therapeutin, einem Juristen und einem Kriminalbeamten geschaffen. Außerdem tue die Kirche alles, um die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen zu unterstützen. Im jüngsten Missbrauchsfall in Hamburg habe das Bistum selbst in einem Hirtenbrief das noch unbekannte Opfer aufgerufen, sich zu melden.

Vertreter kirchlicher Laienorganisationen warfen der Kirche einen zögerlichen Umgang mit der Problematik vor. Die Kirche hätte früher reagieren können, sagte der Geschäftsführer der "Initiative Kirchen von unten ", Bernd Hans Göring. Die Kirche müsse stärker auf den Rat externer Fachleute setzen und unabhängige Beratungsstellen schaffen. "Wir brauchen mehr Professionalität. " Die Bundesgeschäftsführerin der Pfadfinderschaft St. Georg verwies auf die Präventionsbemühungen mit Schulungen für die vielen ehrenamtlichen Gruppenleiter. Bei der Suche nach Ursachen für sexuellen Missbrauch in der Kirche sehen Experten - anders als Laien oft vermuten - das Eheverbot für Priester nicht als Auslöser.

Anfällig seien Institutionen, die ein hohes Vertrauen genössen wie die Kirche und zudem autoritäre Strukturen besäßen, sagte die Erziehungswissenschaftlerin Mechthild Wolff (FH Landshut). Da sexuelle Themen in der Kirche mit einem Tabu behaftet seien, sei die Gefahr dort besonders groß, dass Menschen als Opfer oder Täter in Missbrauch verstrickt würden. Zur Vermeidung sei ein ernst gemeinter Diskurs nötig. Trotz allen Nachholbedarfs bei der Sorge um die Missbrauchsopfer dürften die Täter nicht vergessen werden, gab Jaschke zum Ende der Diskussion zu bedenken: "Bitte denken Sie auch an die Täter, das sind nicht alles Monster, sondern unglückliche Menschen ", meinte der Bischof. "Wenn die rausfallen, vagabundieren sie in der Gesellschaft, wie wissen Sie, dass sie dann geheilt sind? "
SÜDWEST PRESSE,23.05.2008

Letzte Änderung: 24.05.2008