Einladende Neubauten

14.12.2008 Die beste Antwort auf die Krise wäre, ins deutsche Bildungssystem zu investieren. Die Sanierung maroder Schulen, die Bildungsministerin Schavan anregt, ist ein Anfang. VON REINHARD KAHL

Erinnert sich noch jemand an den Bildungsgipfel im Oktober? Inzwischen gipfelt es fast täglich - nur ein Berg ist im Nebel verschwunden, die Bildung. Dabei sagt inzwischen ja fast jeder, sie sollte das Thema Nummer eins sein. Ist sie aber bei den meisten Politikern nur bei Schönwetter.

Warum Bildung so wichtig ist, wird an einer McKinsey-Studie deutlich: Jeder Euro für die frühkindliche Bildung wird demnach mit 12 Prozent für den Einzelnen und die Volkswirtschaft verzinst. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft wollte das nicht glauben und rechnete nach - und kam auf 13 Prozent. Nehmen wir an, eine Bank würde diese Rendite anbieten: ein Dummkopf, wer sein Geld nicht dorthin brächte.
taz tom kalender 2009
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Warum also legt die Gesellschaft, vertreten durch die Politik, das Geld nicht dort an, wo es am meisten bringt? Weil unsere Politiker - und auch die meisten anderen Leute - nicht wirklich an diesen Gewinn glauben! Das wird schon an der Sprache deutlich, wenn von Kosten und nicht von Investitionen die Rede ist. An Kosten spart man. Investieren kann man gar nicht genug, wenn dabei etwas herauskommt.

Was blüht diesem Land, wenn es weiter an der Bildung knausert? Auch das haben die McKinsey-Leute, die ja nun wirklich keine romantischen Pädagogen sind, im Auftrag der Robert Bosch Stiftung durchgerechnet: Deutschland fehlen jährlich 50 Milliarden für Schulen, Kitas und Unis, und aus dieser Unterlassung folgt ein Verlust von atemberaubenden 1,2 Billionen Euro für die Wirtschaft und den Staat in den nächsten zwölf Jahren! Doch Bildung zahlt sich erst in einer Generation aus. Der Horizont der meisten Politiker reicht aber nur bis zur Abrechnung bei der nächsten Wahl.

Hinzu kommt, dass Bildung bei uns irgendwie nicht sexy ist. Viele haben die Schule als demütigend und die Hochschule als verwahrlost in Erinnerung. Aber nun haben wir die Chance, diese deutsche Lernbehinderung zu korrigieren. Geld muss in der Krise ja ausgegeben werden, vom Sparen spricht derzeit niemand. Wäre das nicht die Stunde, über sinnvolle und wirklich nachhaltig wirksame Investitionen nachzudenken?

Das renommierte Deutsche Institut für Urbanistik hat vor einigen Monaten ausgerechnet, dass allein der dringendste Sanierungsbedarf für Schulgebäude inzwischen auf 73 Milliarden angewachsen ist. Die sind nötig, allein um zu verhindern, dass es nicht reinregnet und dass mancherorts bereits einstürzende Neubauten gerettet werden. Für "Innovationen" wäre da noch kein Euro dabei. Krippen und Kitas aber fehlen im ganzen Land. Und viele Ganztagsschulen sind bislang nicht viel mehr als in den Nachmittag verlängerte Vormittagsschulen mit angegliedertem Kiosk. Erst nach Erweiterungen und Umbauten würden sie ihren Namen verdienen.

Aus Wirtschaftskrise und Bildungsmisere könnten, zusammen gedacht, neue Lösungen erwachsen. Die belebende Wirkung für Arbeit und Kapital wäre mit einem Konjunkturprogramm für die bauliche Hardware garantiert. Anders als beim Anreiz, umso mehr Kfz-Steuern zu sparen, je größer das Auto ist, wäre es ökonomisch sogar zielgerichtet. Obszöne Stadtgeländewagen als die Meistbegünstigten der Krise? Auf diesen Witz wäre man nicht gekommen. Stattliche Investitionen in die Bildung aber würden nicht nur fürs Überleben von Betrieben und Arbeitsplätzen sorgen. Sie kämen der Kultivierung des öffentlichen Bereichs, also der gemeinsamen Welt zugute. An dieser gemeinsamen Welt fehlt es.

Nun hat auch Bildungsministerin Annette Schavan die Sanierung von Schulen und Hochschulen ins Gespräch gebracht: 100.000 für jede Schule, 500.000 für jede Hochschule. Ein Schnellschuss sei das, kritisieren die einen. Viel zu wenig, meint hingegen der Verband der Städte und Gemeinden. Allein zur Sanierung der Ruhr-Uni Bochum sei 1 Milliarde Euro nötig, erklärt ein Ministerium in NRW. Immerhin wären Schavans 20 Milliarden viel mehr als nichts. Nach der ersten Stufe für den dringendsten Sanierungsbedarf sollte dann aber gleich eine zweite ins Auge gefasst werden.

Worin besteht diese zweite Stufe? Kürzlich sagte Annette Schavan, jede Schule müsse "so schön sein wie die Filiale einer Bank!" Ja, möchte man da nur zustimmen! Denn man könnte sich manche Evaluation der Schulen sparen, wenn dieser eigentlich ganz simple Maßstab zur Maxime würde. Es geht ja hier nicht um eine Variante von Schöner Wohnen. Es geht darum, Räume zu schaffen, die schon Kindern und Jugendlichen eine Einladung in eine lohnende Welt versprechen, statt mit dem altbekannten Ernst des Lebens zu drohen oder gar - wie heute immer häufiger - Verwahrlosung in Aussicht zu stellen.

Was Bauten erzählen und bewirken können, zeigte sich einer deutschen Delegation, die überwiegend aus Pädagogen bestand, bei ihrem Besuch in Dänemark. In einer Berufsschule fanden wir Designerlampen, schöne Türklinken, sogar Kunst an den Wänden vor - lauter Originale. Die Schule bekommt Geld von der Kommune, damit sie Bilder von Künstlern aus der Region kaufen kann. So werden Künstler unterstützt und Schulen kultiviert. Wir fragen unseren dänischen Führer, ob all die schönen Dinge nicht von den Schülern zerstört würden? Nein, sagte der Herr und wunderte sich. Schon komisch, dass die erste Fantasie der deutschen Pädagogen die gleiche ist wie die ihrer Schüler - oder die, die ihren Schülern unterstellt wird. Unser dänischer Führer stellte sich übrigens als Umweltbeauftragter vor und fügte hinzu, Umwelt bedeute in Dänemark etwas anderes als hier. "In Deutschland ist Umwelt, wenn irgendwo Öl ausläuft. Wir verstehen darunter ein gutes Milieu". Als wir davon hörten, dass am Wochenende in der Schule ein großes Fest sei, fragte jemand: "Beim Fest hängen sie die Kunst doch ab?" - "Nein", antwortet unserer Führer, "wenn wir die Kunst abhängen müssten, wenn wir Feste feiern, dann würden wir lieber keine Feste feiern."

"Der Raum ist der dritte Pädagoge", sagte einst der verstorbene italienische Vorschulpapst Loris Malaguzzi. Inzwischen ist dieser Satz in den skandinavischen Ländern eine stehende Redewendung. Gute Schulen und Kindergärten erweisen den Kleinen bereits mit ihrem Interieur ihre Wertschätzung. Dort weiß man auch, dass die Gesellschaft vor allem den Raum und die Gelegenheiten zum Lernen schaffen muss. Lernen können die Schüler nur selbst. Die Zeit, in denen Schüler als bloße, mit Wissen abzufüllende Container betrachtet wurden, ist vorbei.

Ein bauliches Konjunkturprogramm für Schulen, Kitas und Hochschulen könnte auch ökologische Impulse setzen. Und wie wäre es, die Schüler beim Bau und Umbau mit einzubeziehen? Ihnen zu signalisieren, dass sie gebraucht werden? Schulen als Häuser der Zukunft - das wäre dann endlich keine bloße Metapher mehr. Sie könnten in Zeiten der Depression sogar zum Ort der Leidenschaft für eine Welt werden, in der man leben will. Ungewöhnliche Mischungen von Pragmatismus, Vision und Inspiration - genau das wäre Politik.

Artikel aus der TAZ vom 13.12.2008

Letzte Änderung: 16.12.2008