Die Finanzkrise wird greifbar

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06.02.2009 Die Finanzkrise gibt es bereits seit Monaten - aber inzwischen ist sie offenbar für die Menschen auch konkret und greifbar:

37 Prozent der Erwerbstätigen fürchten laut dem neuen ARD-Deutschland

Trend um ihren Arbeitsplatz. Die Krisenstimmung spüren auch die großen Parteien: SPD und Union verlieren in der Sonntagsfrage, während die FDP mit 16 Prozent auf einem Allzeithoch steht.

Wochenlang hatte man in Deutschland den Eindruck, es ist Krise, aber kaum einer merkt es so richtig. Der Finanzmarkt war zusammengebrochen, der Staat musste mit hunderten Milliarden die Banken stützen, aber die Konsumenten kauften Weihnachtsgeschenke, als sei nichts passiert.

Der ARD-Deutschland

Trend im Februar zeigt nun ganz klar: Die Krise ist näher gerückt, sie wird für immer mehr Menschen konkret und greifbar. Hochgerechnet fast 15 Millionen Menschen geben an, sich Sorgen um den eigenen Arbeitsplatz zu machen. Und gleichzeitig sinkt das Vertrauen in das Krisenmanagement der Bundesregierung. Vor allem das 50-Milliarden-Konjunkturpaket, das Mitte Januar vorgestellt wurde, hat für den Eindruck gesorgt, die Regierung handele ohne klare Linie.

Sichtbare Spuren hat dieser Stimmungsumschwung in der Sonntagsfrage hinterlassen. Die Union verliert gegenüber Anfang Januar drei Punkte und liegt nun mit 34 Prozent sogar unter ihrem Ergebnis bei der letzten Bundestagswahl. Davon profitiert im vollen Umfang die FDP: Sie erreicht mit 16 Prozent ihr Allzeithoch im ARD-DeutschlandTrend. Die SPD ist mit 25 Prozent (-1) seit Monaten anhaltend schwach. Ein "Münte-" oder gar ein "Steinmeier-Effekt" war seit dem Abtritt Kurt Becks in den Umfragezahlen nicht einmal mit der Lupe zu erkennen. Grüne und Linke legen jeweils um einen Punkt zu auf 11 Prozent. Trotz der Schwäche der Union gäbe es weiterhin eine stabile Mehrheit für ein schwarz-gelbes Regierungsbündnis.

Die Ergebnisse im Februar 2009: ARD-DeutschlandTrend

Es fällt auf, dass Union und SPD - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß - im gleichen Dilemma stecken. Sie haben jeweils eine respektierte Spitzenfigur, ohne dass sich dies auf die Werte der Partei übertragen ließe. Angela Merkel mit 69 Prozent Zustimmung und Frank-Walter Steinmeier mit 65 Prozent sind seit Monaten die beiden Parteipolitiker mit den besten Umfragewerten. Merkel hat gegenüber dem Vormonat sogar drei Punkte gewonnen, während ihre Partei ganz eindeutig im Abschwung ist. Bei Steinmeier gelten Respekt und Zustimmung vor allem seiner Arbeit als Außenminister, die aber noch weniger als bei der Kanzlerin mit seiner Partei in Verbindung gebracht wird.

Im direkten Vergleich, bei der Frage also, wen die Deutschen als Bundeskanzler oder Bundeskanzlerin wählen würden, sind Merkel und Steinmeier allerdings ein ungleiches Paar. Merkel mit derzeit 51 Prozent liegt weit vor Steinmeier mit 30 Prozent. Der Abstand pendelt seit Monaten um die 20-Punkte-Marke.

Schlechte Noten für das Konjunkturpaket II

Schlechte Noten bekommen die Regierungsparteien vor allem für das 50-Milliarden- Konjunkturpaket, das derzeit in den parlamentarischen Beratungen ist und Mitte des Monats verabschiedet werden soll. 60 Prozent sind der Ansicht, dass dieses Paket kein wirksames Mittel gegen die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise ist.

Zwar werden einzelne Maßnahmen wie Investitionen in den Schul- und Hochschulbau und die geringfügige Senkung der Einkommenssteuer von zwei Dritteln der Befragten positiv beurteilt. Gerade scheinbar populäre Maßnahmen, wie die Abwrackprämie für alte Autos oder der Kinderbonus von 100 Euro pro Kind, werden aber von 68 bzw. 71 Prozent der Befragten als nicht wirksam beurteilt.

Im Ergebnis erkennen nur 32 Prozent im Handeln der Regierung "eine klare Linie im Umgang mit der Krise" - 65 Prozent vermissen den klaren Kurs. Und 52 Prozent, also mehr als die Hälfte der Befragten, urteilen noch härter: "Die Bundesregierung hat angesichts des Ausmaßes der Krise den Überblick verloren."

Eigene Lage verschlechtert sich

Vielleicht hat die Härte des Urteils auch mit dem Empfinden vieler Menschen zu tun, dass sich die eigene Lage langsam aber spürbar verschlechtert. Noch zum Jahreswechsel war die ungebrochene Konsumlust immer wieder Thema gewesen. Und noch im Herbst lag die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf dem Rekordniveau von über 40 Millionen, während in den USA täglich zigtausend Entlassungen angekündigt wurden.

Nun dreht sich auch bei uns der Wind: 37 Prozent der befragten Erwerbstätigen geben an, sich Sorgen um den eigenen Arbeitsplatz zu machen - im Dezember waren es nur 32 Prozent. Hochgerechnet betrifft das 15 Millionen Beschäftigte mit ihren Familien. 53 Prozent machen sich Sorgen um die persönliche wirtschaftliche Zukunft (Dezember: 51 Prozent). Und 49 Prozent sorgen sich um die Ersparnisse. Hier ist der Anstieg besonders deutlich: Anfang November, kurz nach der Garantiererklärung der Bundeskanzlerin für alle Sparguthaben, waren nur 36 Prozent in dieser Hinsicht besorgt.

Wenig Zustimmung zur Verstaatlichung von Banken

Viele Bürger halten es zwar weiterhin für alternativlos, dass der Staat trudelnde Banken stützt. Aber 79 Prozent haben das Gefühl, dass Firmen und Banken, die schlecht gewirtschaftet haben, den Staat nun ausnutzen. Deshalb gibt es auch wenig Zustimmung zum Plan der Bundesregierung, notfalls Banken vollständig zu übernehmen, um sie auch kontrollieren zu können. 18 Prozent unterstützen diesen Weg. 59 Prozent denken, es sollte bei einer Beteiligung des Staates bleiben, ohne dass er die Anteile komplett übernimmt. Weitere 19 Prozent sind sogar gegen jede staatliche Beteiligung an Privatbanken.

Hoffnungsschimmer Obama

Der wichtigste Hoffnungsschimmer in düsteren Zeiten ist und bleibt der amerikanische Präsident Barack Obama. 74 Prozent sind mit seiner Arbeit zufrieden - da liegt er sogar vor der deutschen Kanzlerin. Erstaunlicher noch: Das Bild der USA hat sich in weniger als einem halben Jahr vollständig gewandelt. Regelmäßig fragen wir im DeutschlandTrend, ob die USA ein Partner sind, dem Deutschland vertrauen kann. Unter George W. Bush waren zeitweise kaum mehr als 30 Prozent dieser Ansicht. Noch im September, wenige Wochen vor der Wahl, lag die Zahl bei 48 Prozent. Mit dem neuen Präsidenten im Weißen Haus gibt es hier einen neuen Rekord: 75 Prozent halten die USA nun für einen vertrauenswürdigen Partner.

Wie weit die Unterstützung für diesen Partner geht, hängt aber weiterhin von der eigenen politischen Heimat ab. Die Deutschen unterstützen zwar fast unisono Obamas Plan, das Gefangenenlager Guantanamo zu schließen. Aber nur 49 Prozent finden, Deutschland sollte unschuldige Häftlinge aufnehmen, wenn die nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können. Deutliche Zustimmung gibt es in dieser Frage bei Anhängern von Grünen (76 Prozent), Linken (61 Prozent) und SPD (57 Prozent). Anhänger von Union und FDP lehnen diesen Schritt jedoch mehrheitlich (55 Prozent) ab.

Ansehen des Papstes hat gelitten

Spannende Ergebnisse gibt es schließlich zu zwei aktuellen Themen dieser Woche. 65 Prozent der Deutschen finden, dass der britische Bischof Williamson als Holocaust-Leugner nicht in der Kirche bleiben kann und gehen damit sehr viel weiter als die Erklärung des Vatikans von Mittwoch. Dessen Position, Williamson dürfe zwar in der Kirche bleiben, aber kein Bischofsamt übernehmen, teilen nur 27 Prozent. Unter der Diskussion hat auch das Ansehen des Papstes gelitten. Nur 42 Prozent sind mit seiner Amtsführung zufrieden.

Klar abgelehnt wird auch das Vorgehen der Deutschen Bahn, die Konto- und Adressdaten ihrer Mitarbeiter mit denen von Lieferanten abgeglichen hat. 83 Prozent halten das nicht für gerechtfertigt. Und 65 Prozent fordern als Konsequenz den Rücktritt von Bahnchef Hartmut Mehdorn. Aber im Unterschied zu Papst Benedikt war Mehdorn eben nie wirklich populär.

tagesschau,06.02.2009

Letzte Änderung: 06.02.2009