Optimismus in schwierigen Zeiten

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16.02.2009 Er war zu Besuch bei der IG Metall RT-TÜ: Tagesspiegel-Redakteur Harald Schumann zu den Chancen der Krise

"Die Ideologie der herrschenden Eliten ist gebrochen", sagt Harald Schumann, "eine riesige politische Chance!" Auf der Veranstaltung der IG Metall Reutlingen-Tübingen am Montag, den 9.2.2009 im Foyer der Mypegasus warb er bei den rund 60 Zuhörern für Optimismus.

Schumann, Tagesspiegel-Redakteur und Autor der "Globalisierungsfalle", betrachtet die Finanzkrise, den drohenden Klimakollaps und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in der Welt in ihren Zusammenhängen. Alle drei Phänomene haben ihre Ursache im politisch-ökonomischen Konzept, das seit Jahrzehnten die Welt dominiere.

"Die aktuelle Krise ist kein Unfall", sagt Schumann, "sondern Ausdruck des Scheiterns dieses Konzepts." Die Politik habe sich drei Jahrzehnte lang den Forderungen der Finanzindustrie gebeugt, habe zunehmende Liberalisierung und Deregulierung zugelassen. Feste Wechselkurse und Kapitalverkehrkontrollen seien aufgegeben, Steueroasen und Offshore-Center zugelassen worden. Am Ende sei die Finanzwirtschaft nicht einmal mehr daran gehindert worden, die essentiellen Eigenkapitalvorschriften zu unterlaufen und damit die Grundlage für eine wirkungsvolle Bankenaufsicht auszuhebeln.

"Jeder Handwerksmeister weiß, dass er Polster braucht, falls ein Auftraggeber ausfällt. Ein solches Eigenkapitalpolster ist bei risikoreichen Geldgeschäften noch wichtiger", so der Journalist. Daher habe man sich einst auf den "Basler Akkord" geeinigt, der acht Prozent Eigenkapital auf alle Aktiva vorschrieb. Mit dem Modell des Investmentbanking, der Gründung von Zweckgesellschaften, Hedgefonds, Private Equity wurde dieser gesunde Grundsatz breitflächig unterlaufen. So sei weltweit ein System von Schattenbanken außerhalb aller Bankenaufsicht entstanden.

Der Wert aller Finanzanlagen habe sich seit 1980 gut verzehnfacht. "Die Geldmenge explodierte, trieb aber nicht die Löhne und Preise, sondern Börsen- und Grundstückswerte nach oben", sagt Schumann. Die verhängnisvollen Folgen: erhöhter Druck auf die Unternehmen, vor allem die börsennotierten, und der Zwang, immer höhere Renditen zu erwirtschaften zum Schutz vor feindlicher Übernahme. Die grotesken Konsequenzen beispielhaft: Nokia erzielte in 2006 den höchsten Gewinn der Firmengeschichte, hat aber dennoch das rentable Werk in Bochum geschlossen.

Die Unternehmen machten mehr Gewinne, als sie für Dividenden und Neuinvestitionen wieder ausgeben konnten. Die Manager profitierten mit ihren an die Renditen gekoppelten Gehältern. Die meisten Menschen auf dieser Welt aber gehören zu den Verlierern. In Deutschland ist das durchschnittliche Arbeitnehmereinkommen heute nicht höher als 1992. Seit über 25 Jahren kommt fast der gesamte Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts nur noch den Unternehmen und privaten Vermögenseinkommen zugute. "Das waren immerhin 500 Milliarden Euro!", beschreibt der Wirtschaftsjournalist plastisch. Gleich ob in USA, Japan oder Südafrika: Überall schrumpfen die Mittelschichten, wächst die Armut, während einige Wenige Kasse machen, vom zunehmenden Elend in den Entwicklungsländern ganz zu schweigen.

Ursache, so Schumanns Überzeugung, sei der stetig gestiegene Druck des weltweit mobilen Kapitals auf die die Entscheidungen der bloß national organisierten Regierungen. Die Arbeit der Lobbyisten in Berlin, der Umstand, dass rund 100 Bundestagsabgeordnete ihre Bezüge nicht offenlegten - Beispiel für die Zustände in den Parlamenten weltweit.

Der Druck auf die Regierungen seitens der Ökonomie bestimme die politischen Entscheidungen und verhindere neben anderem immer noch eine wirksame Klimaschutzpolitik. Obwohl klar sei, das jetzt gehandelt werden müsste. Allerdings habe die geschlossene Front des Kapitals unter dem Schock der derzeitigen Krise Risse bekommen. Einzelne Kapitalfraktionen hätten im eigenen Interesse begriffen, dass "die bisherige technische und politische Ausgestaltung des Kapitalismus keine Zukunft" habe. Es gelte, neue Bündnisse zu schließen zwischen diesen Einsichtigen, den Gewerkschaften und anderen Organisationen wie etwa Attac. Die Krise eröffne die Chance, das Gesicht des Kapitalismus deutlich zu verändern.

Letzte Änderung: 16.02.2009