IG METALL: Revolution von oben

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29.12.2009 Wenn 2010 wieder wichtige Tarifrunden stattfinden, werden markige Parolen nicht ausbleiben.

In ihrer Rhetorik setzen die Gewerkschafter notfalls auf das alte Muster "Wir hier unten, ihr da oben". Das schafft ein Gemeinschaftsgefühl und überhöht das eigene Ziel zudem in jene soziale Dimension, aus welcher die Arbeiterbewegung entstanden ist und ihren historischen Siegeszug angetreten hat. Niemand bestreitet dieses große gesellschaftliche Verdienst. Doch ist die Unterscheidung von Kapital und Arbeit, von Ausbeutern und Ausgebeuteten, längst nicht nur eine hohle Denkfigur?

In diesem Jahr ist der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Dachorganisation der acht Einzelverbände, 60 Jahre alt geworden. Mit 6,4 Millionen beitragszahlenden Mitgliedern sind diese Gewerkschaften - allen voran die IG Metall und Verdi - zahlenmäßig ein ungleich mächtigerer Verbund als alle politischen Parteien zusammen. Doch nach der Wende zählte die organisierte Arbeitnehmerschaft noch fast zwölf Millionen Köpfe. Die Bilanz der vergangenen 20 Jahre ist immer noch desaströs. Es kann die Arbeiterführer nur wenig trösten, dass andere Großorganisationen ebenfalls einen Aderlass beklagen.

Es wird mehrere Gründe dafür geben, dass eine Gewerkschaft längst nicht mehr zur selbstverständlichen Wahlheimat eines jeden abhängig Beschäftigten wird. Sicher zählt die moderne Betriebswirklichkeit dazu, die sich eben nicht mehr in Kategorien des Klassenkampfes abbilden lässt. Deutlich wurde dies beispielsweise an der neuen Berufsgruppe der IT-Spezialisten. Sie wächst zahlenmäßig immer mehr, bleibt aber den Gewerkschaften ebenso fern wie viele Dienstleister. Dass Frauen und Jugendliche unterrepräsentiert sind, muss für die Funktionäre ein Alarmzeichen sein.

Das ist es auch, vor allem für den Mächtigsten unter ihnen: IG-Metall-Chef Berthold Huber hat die Stoßrichtung seiner Gewerkschaft verändert und den Mitgliederschwund gestoppt. Der Feingeist aus Frankfurt weiß, dass alle gewerkschaftliche Macht letztlich aus der Masse erwächst. Wo sie schwindet, schwindet politischer Einfluss, vor allem aber die tarifpolitische Balance, die für eine Gewerkschaft erstes Ziel ist. Die Basis aber bröckelt. Der Organisationsgrad der größten Einzelgewerkschaft in Europa liegt historisch niedrig bei 27 Prozent.

Ob die Wirtschaftskrise den Gewerkschaften neuen Zulauf bringen wird, ist noch nicht ausgemacht. Mit alten kapitalismusfeindlichen Erklärungsmustern wird jedenfalls keine neue gewerkschaftliche Klimaerwärmung unter den Werktätigen erreicht. Huber hat das längst erkannt. Aus dem linken Radikalen ist spätestens nach der Wende ein liberaler Reformer geworden: In Leipzig hat er als gewerkschaftlicher Aufbauhelfer gesehen, zu welchen Deformationen an Mensch und Gesellschaft der Realsozialismus führt. Er sei eher ein 89er als ein 68er, sagt er.

Das bedeutet nicht, dass Huber die IG Metall auf Kuschelkurs bringen will. Selten zuvor war ein Gewerkschaftsführer so gefragt im Kreis der Mächtigen. Die Finanznot der Konzerne hat ihm einen Trumpf zugespielt - die Belegschaften als Beteiligungsgesellschaften. Bei Opel, Schaeffler und Daimler war das neue Modell im Gespräch: Lohnverzicht im Gegenzug für Aktien des eigenen Unternehmens.

Zugleich will sich die IG Metall selbst reformieren. Weil Mitglieder vor allem durch Engagement für betriebliche Belange gewonnen werden, wollen Huber und sein Vize Detlef Wetzel die 160 Verwaltungsstellen stärken; das wird zu Lasten der Zentrale mit ihren 550 Mitarbeitern gehen. Der stärkste Einschnitt ist beim siebenköpfigen Vorstand geplant, der halbiert werden soll. Die IG Metall probt die Revolution von oben, um die Macht von unten zu stärken. HELMUT SCHNEIDER

südwest presse,29.12.2009

Letzte Änderung: 29.12.2009