"Wir werden langen Atem entwickeln"

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27.01.2010 "Alle Räder stehen still, wenn unser starker Arm das will", zitiert Michael Bidmon von der IG Metall gestern bei Streikbeginn der Beschäftigten von Automotive Lighting (AL) auf der Tübinger Straße.

"Wir sind froh, dass nun Bewegung in die Verhandlungen gekommen ist", sagte Michael Jäger gestern vor den Werkstoren von Automotive Lighting (AL). Aber: Herausgekommen sei dabei "nicht das, was wir erwarten", so der Betriebsratsvorsitzende des Reutlinger Unternehmens mit italienischen Besitzern. Der Erhalt von 30 Arbeitsplätzen sei den Beschäftigten angeboten worden, wie Gert Bauer den rund 300 Menschen auf der spiegelglatten Tübinger Straße berichtete. "Das ist nicht genug - wir wollen alle 130 Arbeitsplätze erhalten", betont der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Reutlingen-Tübingen.

Jörg Hofmann, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, signalisierte durch sein Erscheinen Solidarität und prangerte seinerseits das "kurzfristige Profitstreben" der Betriebe an - für das "wieder mal abhängig Beschäftigte" ihren Kopf hinhalten sollen. "130 Arbeitsplätze, das sind 130 Gesichter, 130 Familien und das ist auch 130 Mal Zukunft, die hier auf dem Spiel steht", rief Hofmann den trillernden, pfeifenden, klatschenden und Buh-rufenden Mitarbeitern am frühen Morgen entgegen.

Plakate wurden in den grauen Himmel gestreckt und IG-Metall-Fahnen. Die Streikenden und die hinzugekommenen Beschäftigten von anderen Betrieben aus der Region verliehen ihrem Unmut ebenso Ausdruck wie der Hoffnung, dass sie durch den Streik doch noch den Erhalt ihrer Arbeitsplätze erreichen können.

"Wir fordern den Stopp der Verlagerungspläne und wollen ein Zukunftskonzept für den Standort Reutlingen", betonte Hofmann. "Wir gehen nicht hier weg ohne die Sicherung der Arbeitsplätze." Grundsätzlich entspreche "die Schließung eines Qualitätsstandortes einem ungedeckten Scheck für die Zukunft". Der Reutlinger Betrieb stehe "für einen Arbeitskampf, der sich lohnt". Das AL-Management habe genug Zeit gehabt, um eine Lösung zu finden. Aber: "Wir entscheiden, was akzeptabel ist und was nicht", rief Jörg Hofmann.

"Wir streiken hier für einen Sozialtarifvertrag", so Gert Bauer. Wenn tatsächlich Arbeitsplätze in Reutlingen verloren gehen sollten, dann müsse der Betrieb immense Abfindungen zahlen. Aber: "Wichtiger als Geld sind die Arbeitsplätze", sagte der Gewerkschafter. Falls die Zusage käme, dass die Arbeitsplätze erhalten werden, würden die Forderungen nach einen Sozialtarifvertrag wieder fallen gelassen. "Wo Menschen nur Kostenfaktoren sind, wo einzig und allein in Geld gedacht wird, da ist es mit der Ehrlichkeit auch nicht weit her", so Bauer.

Zu dem geplanten "Betriebsausflug" nach Mailand zum Stammsitz des AL-Mutterkonzerns Magneto Marelli (einer hundertprozentigen Tochter von Fiat) sagte der Reutlinger IG-Metall-Vorsitzende: Sollte für die Filiale an der Achalm bis zur nächsten Woche kein positives Ergebnis gefallen sein "und die Kollegen in der Nähe von Mailand gegen die Schließung eines Werkes in Sizilien demonstrieren", dann werde der Widerstand vor den Werkstoren des Autozulieferers in Norditalien zu einer deutsch-italienischen Kooperation. Über die Länge des Streiks in Reutlingen sagte Michael Jäger:

"Wir wollen hier nicht lange in der Kälte stehen", aber, so Gert Bauer: "Wenn wir einen langen Atem brauchen, werden wir einen langen Atem entwickeln."

südwest presse,27.01.2010

Letzte Änderung: 27.01.2010