Kabelspezialisten in der Insolvenz
Die Mitarbeiter hängen in der Luft.
Eines vorweg: AFL Europe ist nur noch ein Teil von dem, was sich heute auf dem ehemaligen Stribel-Gelände in Frickenhausen befindet - und was die Firma Stribel einmal ausgemacht hat. Der Großteil des Betriebs in der Benzstraße gehört heute zur Firma Flextronics. Dahinter verbirgt sich das ehemalige klassische Stribel-Kerngeschäft, die Leistungselektronik im Automobil.
Dieser Bereich war zum 1. Dezember vom Flextronics-Konzern aus Singapur übernommen worden und in diesem Zusammenhang war die Flextronics-Tochter Sidler aus Tübingen nach Frickenhausen umgezogen. Rund 240 Mitarbeiter sind dort heute beschäftigt. Dort wird auch wieder produziert. Flextronics ist von der Insolvenz nicht berührt.
Während es für Flextronics und damit den großen Teil der ehemaligen AFL-Gruppe, also durchaus gut läuft, sieht es hingegen für AFL Europe momentan gar nicht rosig aus. Zur Erinnerung: Der amerikanische Aluminiumkonzern Alcoa hatte seinerzeit seine Automotive-Sparte unter der Marke AFES zusammengefasst. Rund 17 000 Menschen weltweit waren in dieser Sparte beschäftigt. AFL Europe war hier eine Tochterfirma für das Europageschäft mit gut 8000 Beschäftigten. Frickenhausen war Sitz der Europazentrale und hatte entsprechend strategische Bedeutung.
2009 entschloss sich Alcoa dann, nicht zuletzt wegen der Wirtschaftskrise, sich von der Automotive-Sparte zu trennen und sich wieder auf sein Kerngeschäft zu besinnen. In diesem Zusammenhang wurde das AFES-Geschäft aufgesplittet in die Bereiche Kabelbäume und Elektronik. Das hatte auch am Standort Frickenhausen Folgen, denn auch hier gab es eine Aufsplittung. Rund 120 Beschäftigte wechselten von AFL Europe zu AFL Stribel Production, der heutigen Flextronics. 54 Mitarbeiter verblieben bei AFL Europe.
Alcoa verkaufte die Kabel-Sparte und damit AFL Europe vergangenen Juni an den US-amerikanischen Finanzinvestor Platinum Equity. Dieser musste dafür aber nichts bezahlen, sondern bekam nach Informationen des vorläufigen Insolvenzverwalters Dr. Volker Viniol aus Stuttgart von Alcoa 175 Millionen US-Dollar dazu.
Der Standort Frickenhausen spielte in den Planungen von Platinum Equity, wie es aussieht, wohl von vornherein kein wichtige Rolle. Denn bereits kurz nach der Übernahme wurde entschieden, einen Großteil der Abteilungen wie Buchhaltung, Vertrieb oder Entwicklung von dort in die Niederlassung im tschechischen Pilsen zu verlegen. 36 der 54 in Frickenhausen verbliebenen Mitarbeiter wurden gekündigt. Im Täle sollten nur noch einige Kern- und Managementfunktionen verbleiben. Der Hauptsitz sollte Pilsen werden. Von Frickenhausen aus sollten noch lokale Kunden betreut werden.
Ende 2009 habe es dann eine weitere Umstrukturierung gegeben, so Viniol. Die vier Produktionswerke in Ungarn und Rumänien, die bis dahin Tochterunternehmen von AFL Europe waren, wurden jetzt, über eine neue Zwischenholding in Luxemburg, in Schwestergesellschaften umgewandelt. "Das hatte zur Folge, dass die Lufthoheit über die Produktion verloren ging", so Viniol.
Mitte Januar meldete das Unternehmen nun Insolvenz an. Laut dem vorläufigen Insolvenzverwalter gab es Anlaufschwierigkeiten bei einem Auftrag von VW, den neuen VW-Transporter mit Kabelbäumen auszustatten. Auf Grund der neuen Struktur mit den Produktionswerken habe AFL Europe nicht rechtzeitig liefern können, die Produktion bei VW sei ins Stocken gekommen.
Der Autokonzern habe laut Viniol 90 Millionen Euro Schadenersatz geltend gemacht, woraufhin die Liquidität bei AFL Europe zusammengebrochen sei. Durch die Zahlungsunfähigkeit habe AFL Europe auch nicht mehr die Produktionswerke bezahlen können. Wären diese noch Tochterunternehmen gewesen, hätte man die Produktion eher aufrechterhalten können, sagt Viniol. Auch die Lieferanten seien nun abgesprungen. Die Produktion der Kabelbäume für VW sei zum Stillstand gekommen. AFL Europe beliefert nahezu alle europäischen Autohersteller, außer BMW, mit seinen Kabelbäumen, mit denen die elektronischen Komponenten im Auto verbunden werden. Hauptkunde ist VW.
Sein Ziel sei nun, den Geschäftsbetrieb von AFL Europe zu stabilisieren, sagt der vorläufige Insolvenzverwalter Volker Viniol. So wolle er konstruktiv daran mitarbeiten, die Produktionswerke in Osteuropa von Platinum Equity an strategische Investoren, also Autozulieferer zu verkaufen: "Meine Aufgabe ist, trotz dieser Ausgangssituation etwas wirtschaftlich Positives zu gestalten, bis Übernehmer gefunden sind". Denn diese bräuchten auch Know-how von AFL Europe. Kabelbäume seien ein sehr anspruchsvolles Geschäft von der Produktsteuerung her.
Im Prinzip sei jeder Kabelbaum ein Unikat, je nach Ausstattung des Autos. "Mit etwas Glück besteht die Chance, die Hälfte der Arbeitsplätze von AFL Europe zu retten", so Viniol. Das gelte auch für Frickenhausen. AFL Europe hat in Europa noch rund 350 Mitarbeiter. Standorte gibt es außer in der Tälesgemeinde in Wolfsburg, Denkendorf bei Ingolstadt, Portugal, Tschechien und England, die alle von der Insolvenz ebenso betroffen sind.
südwest presse,20.02.2010
Letzte Änderung: 31.05.2016